Depressionen treten nicht nur akut auf, sondern vielfach auch in chronischer Form. Diese langanhaltenden Beeinträchtigungen sind für die Betroffenen meist enorm belastend, was sie auch nach ungewöhnlichen Therapieoptionen greifen lässt. Eine Behandlungsmöglichkeit, die in jüngerer Vergangenheit in den Fokus gerückt ist, ist dabei die Cannabistherapie. Doch ist es wirklich sinnvoll, Cannabis bei Depressionen einzusetzen? Die Studienlage erlaubt derzeit vorsichtigen Optimismus, Behandlungsempfehlungen können auf ihrer Basis jedoch noch nicht ausgesprochen werden.
Was ist eine chronische Depression?
Eine Depression kennzeichnet sich durch einige charakteristische Symptome. Zu den Hauptsymptomen zählen die folgenden:
- gedrückte Stimmung
- Interessenverlust und Freudlosigkeit
- Antriebslosigkeit mit erhöhter Ermüdbarkeit und Aktivitätseinschränkung
Zu den weiteren Symptomen, die eine Depression kennzeichnen, jedoch nicht in jedem Falle auftreten, zählen u.a. die folgenden:
- Morgentief
- Konzentrations- und Aufmerksamkeitsprobleme
- vermindertes Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen
- Schuldgefühle
- Grübelneigung
- verminderte Libido
- verminderter Appetit und Gewichtsverlust
- Schlafprobleme
- Suizidgedanken
Ärzt*innen und Psychotherapeut*innen differenzieren unterschiedliche Formen und Schweregrade der Depression. Bei den Formen ist die Unterscheidung einer akuten, einer rezidivierenden und einer chronischen Form zentral. Der Schweregrad wird in Abhängigkeit von der Symptombelastung bestimmt. Die chronische Depression zeichnet sich dadurch aus, dass die Symptome ohne nennenswerte Besserung über einen Zeitraum von mindestens zwei Jahren bestehen. Wichtig ist hier, dass es nicht zu zeitweisen Phasen der völligen oder weitgehenden Symptomfreiheit kommt. Ist das der Fall, liegt keine chronische, sondern eine rezidivierende, d.h. immer wieder auftretende, depressive Störung vor. Als eine Sonderform der chronischen Depression kann die sog. Dysthymie verstanden werden. Hier bestehen die Symptome ebenfalls chronisch, bewegen sich hinsichtlich des Schweregrads jedoch unterhalb einer leichten depressiven Episode; hier sind also weniger als zwei Haupt- und zwei Nebensymptome gegeben.
Welche Behandlungsmöglichkeiten bestehen bei chronischer Depression?
Die indizierte Therapie einer Depression ist abhängig von Form und Schweregrad. Die hauptsächlichen Behandlungsmethoden, die zur Wahl stehen, sind die Psychotherapie und die medikamentöse Therapie mittels eines Antidepressivums. Bei leichter und mittelgradiger depressiver Episode ist eine Behandlung mit nur einer der beiden Optionen möglich, bei der schweren depressiven Episode hingegen wird in jedem Falle zu einer Kombination aus Psychotherapie und antidepressiver Medikation geraten.
Neben diesen beiden kommen gelegentlich auch weitere Therapieformen zum Einsatz. Insbesondere bei ansonsten therapieresistenter chronischer Depression wird etwa die Elektrokramptherapie eingesetzt. Neuerdings steht darüber hinaus mit dem Narkotikum Ketamin ein weiteres Medikament zur Verfügung, das bei schwerer therapieresistenter Depression eingesetzt wird. Zu weiteren experimentellen Therapieverfahren zählen u.a. die Vagusnervstimulation, die transkranielle Magnetstimulation und die Tiefenhirnstimulation.
Als begleitende Therapiemethoden werden häufig Sport- und Bewegungstherapie, Entspannungstechniken, Schlafentzug oder Lichttherapie eingesetzt.
Studienlage und Angebot der Cannabistherapie
Zu den weiteren experimentellen Verfahren, die derzeit nicht standardmäßig eingesetzt werden, zählt auch die Cannabistherapie. Die Möglichkeiten und Grenzen einer entsprechenden Behandlung wurden jüngst etwa an der Universitätsklinik Essen erforscht. In einer Längsschnittstudie mit 59 Patient*innen im Alter zwischen 20 und 54 Jahren, bei denen eine chronische Depression diagnostiziert war, wurde die Wirksamkeit von medizinischem Cannabis getestet. Vor Beginn der Behandlung wurde der Schweregrad der Depression auf einer Bewertungsskala von 0 bis 10 Punkten bemessen. Er lag im Durchschnitt bei 6,9 Punkten. Nach 18 Wochen der Behandlung sank er im Durchschnitt auf 3,8 Punkte, wobei bei 50,8 Prozent der Patient*innen ein Ansprechen auf die Therapie belegbar war. Schwere Nebenwirkungen zeigten sich in der Studie nicht. Berichtet wurde lediglich über Symptome wie Müdigkeit, Konzentrationsschwäche, Übelkeit oder trockene Augen. Dasist insbesondere vor dem Hintergrund der Tatsache, dass Cannabiskonsum bei entsprechender erblicher Belastung die Wahrscheinlichkeit des Auftretens von Psychosen erhöhen kann, interessant: Hierzu kam es im Studienzeitraum nicht. Interessant ist das Studienergebnis darüber hinaus, da Cannabis als potentiell depressiogen gilt: Eine Studie hatte gezeigt, dass ein überhöhter Konsum das Risiko, an einer Depression zu erkranken, steigert.
Belegt ist die Wirksamkeit von Cannabis bei chronischer Depression damit jedoch noch nicht. So liegt ein Schwachpunkt der Studie etwa darin, dass es keine Kontrollgruppe gibt. Inwiefern die Effekte tatsächlich auf das Cannabis und nicht etwa auf den Placeboeffekt zurückzuführen sind, lässt sich damit aus den Studiendaten nicht schließen. Metaanalysen, die die bisherige Studienlage analysieren, kommen daher bisher zu einem eher zurückhaltenden Fazit: Es gibt zwar erste Hinweise auf eine Wirksamkeit, weitere Studien scheinen jedoch nötig, um hier mit mehr Sicherheit ein Fazit fällen zu können.
Wer sich heute schon, etwa bei CanDoc, Cannabis bei Depressionen verschreiben lassen möchte, hat jedoch bereits die Möglichkeit dazu. In Deutschland ist medizinisches Cannabis als Medikament zugelassen und kann seit 2017 auch zulasten der Gesetzlichen Krankenkassen ärztlich verordnet werden. Sollen die Kosten für die Behandlung durch die Gesetzliche Krankenkasse übernommen werden, müssen jedoch zahlreiche Vorgaben eingehalten werden – was bei der Diagnose einer Depression als Verschreibungsgrund meist nicht möglich ist. Es bleibt jedoch die Option, das medizinische Cannabis selbst zu bezahlen. In diesem Falle ist lediglich eine ärztliche Verordnung nötig.
Fazit: Cannabis als Therapieoption bei chronischer Depression?
Erste Hinweise auf eine Wirksamkeit von Cannabis bei einer chronischen Depression liegen durch Studien vor. Insgesamt ist die Studienlage bisher jedoch eher dünn, weshalb (noch) keine allgemeine Therapieempfehlung ausgesprochen und Cannabis als Option nicht in entsprechende Leitlinien aufgenommen wurde. Es kann jedoch beobachtet werden, dass die Forschung rund um medizinisches Cannabis und Cannabistherapien in den letzten Jahren an Fahrt aufgenommen hat. Mit weiteren Studienergebnissen ist daher in den kommenden Jahren zu rechnen. Wer nicht so lange warten und auf eigene Verantwortung Cannabis bei Depression einsetzen möchte, hat bereits heute die Möglichkeit dazu, muss die Kosten der Behandlung in aller Regel jedoch selbst tragen.