Noch vor vier Jahrzehnten ging man davon aus, dass es sich bei Depressionen um eine Erkrankung handelt, die ausschließlich im Erwachsenenalter auftritt. Kinder und Jugendliche wurden als zu unreif angesehen, um eine Depression entwickeln zu können. Depressive Störungen von Jugendlichen wurden als die üblichen Stimmungsschwankungen der Pubertät abgetan. In der jüngeren Vergangenheit haben Entwicklungsstudien dazu beigetragen, dass sich die Sichtweise ändert. Heute wird nicht mehr bezweifelt, dass bereits im Kindes- und Jugendalter Depressionen auftreten und mit einer Reihe negativer Folgen verbunden sein können. Dabei konnten beim Verlauf von Depressionen in verschiedenen Altersgruppen Ähnlichkeiten, jedoch auch entscheidende altersbedingte Unterschiede festgestellt werden. Wir geben im Folgenden einen Überblick über Symptome, Prognosen, Diagnoseverfahren und Behandlungsformen von Depressionen bei Kindern und Jugendlichen.
Häufigkeit und Komorbidität in unterschiedlichen Entwicklungsphasen
Bei Kindern vor der Pubertät treten Depressionen relativ selten auf. Etwa 1 bis 2 % der vorpubertären Kinder erkranken an einer depressiven Störung. Zudem treten bei dieser Altersgruppe die Depressionen bei Jungen und Mädchen etwa gleich häufig auf. Mit Eintreten der Pubertät bzw. ab dem Teenageralter werden Depressionen häufiger. Mädchen sind öfter betroffen als Jungen. Im jungen Erwachsenenalter kommen Schätzungen zufolge schwere depressive Störungen bei etwa 10 bis 17 % vor. Frauen sind etwa doppelt so häufig betroffen wie Männer.
Depressionen können auch bei Kindern und Jugendlichen in Verbindung mit weiteren psychischen Störungen auftreten – man spricht in diesem Zusammenhang von Komorbidität. Etwa zwei Drittel der an Depressionen erkrankten Jugendlichen weisen mindestens eine komorbide Störung auf. Besonders oft findet sich ein Zusammenspiel von Depressionen und Angstzuständen. Untersuchungen von Kindern im Vorschulalter ergaben noch höhere Komorbiditätsraten. Drei von vier Kindern weisen weitere Auffälligkeiten neben der Depression auf. ADHS und Ängste sind in diesem Alter gehäuft als weitere Diagnosen zu finden. Nicht zuletzt dieser Umstand wirft die Frage auf, ob depressive Störungen bei jüngeren Kindern denen entsprechen, die zu einem späteren Zeitpunkt in der Entwicklung auftreten, oder ob die Depressionen in diesem Alter eher als Syndrom emotionaler und verhaltensbezogener Dysregulation anzusehen sind.
Warnsignale erkennen
Viele Kinder und Jugendliche durchlaufen Phasen der Traurigkeit oder Niedergeschlagenheit. Das gehört zum Erwachsenwerden dazu und niemand kann seinem Kind alle Ängste und Sorgen abnehmen. Wenn ein Kind jedoch anhaltend traurig, reizbar oder desinteressiert an Aktivitäten ist, die ihm früher Spaß gemacht haben, könnte dies auf eine depressive Störung hindeuten.
Die Anzeichen für eine Depression bei Kindern und Jugendlichen sind nicht immer leicht zu erkennen. Zu den wichtigsten Anzeichen gehören:
- Traurigkeit, Reizbarkeit, häufiges Weinen
- Verlust des Interesses an früher beliebten Aktivitäten, Antriebslosigkeit
- Es wird weniger oder keine Zeit mehr mit Freunden oder bei außerschulischen Aktivitäten verbracht
- Veränderungen von Appetit und/oder Gewicht
- Veränderte Schlafgewohnheiten – entweder mehr oder weniger als gewöhnlich
- Starke Müdigkeit oder geringe Energie
- Der*die Betroffene äußert das Gefühl der Wertlosigkeit oder leidet unter übermäßigen Schuldgefühlen
- Konzentrationsschwierigkeiten
- Desinteresse an der Schule oder nachlassende schulische Leistungen
- Suizid- oder Selbstverletzungsgedanken
Kinder können auch über körperliche Beschwerden wie Kopf- oder Bauchschmerzen klagen. Jugendliche greifen möglicherweise zu Alkohol oder anderen Drogen, in der Hoffnung, sich dadurch besser zu fühlen.
Nicht nur die Symptome, auch die Ursachen einer Depression sind nicht immer eindeutig. Eine Depression kann vollkommen unerwartet auftreten und aus dem Nichts zu kommen scheinen. Aber auch äußere Ereignisse wie der Verlust eines geliebten Menschen, ein Umzug, Mobbing oder Schulstress können eine depressive Episode auslösen. Auch erbliche Faktoren können eine Rolle spielen. Kinder mit anderen Erkrankungen wie Aufmerksamkeitsstörungen, Lernbehinderungen, Verhaltensproblemen oder Angstzuständen sind einem höheren Risiko ausgesetzt.
Für Eltern kann es schwierig sein, eine Depression bei ihrem Kind zu erkennen. Wer vermutet, dass sein Kind depressiv ist, sollte das Gespräch suchen und nach Gefühlen und Sorgen fragen. Manche Kinder drücken ihre Traurigkeit oder Unzufriedenheit direkt aus. Äußert ein Kind Gedanken über Selbstverletzungen oder Suizidgedanken, muss das immer ernst genommen und professionelle Hilfe gesucht werden. Ein erster Weg kann zum*r Kinderärzt*in führen, der*die durch ein professionelles Screening und stimmungsbezogene Fragen bei der Erkennung der Anzeichen einer Depression helfen kann. Die offiziellen Diagnosekriterien sind für Kinder und Erwachsene sehr ähnlich. Allerdings gilt für Kinder und Jugendliche die Annahme, dass sie eher eine Reizbarkeit als eine traurige oder niedergedrückte Stimmung zum Ausdruck bringen und dass ein Gewichtsverlust als Nichterreichen von angemessenen Gewichtsmeilensteinen als Indiz betrachtet werden kann.
Depressionen bei Kindern und Jugendlichen behandeln
In den meisten Fällen von Depressionen bei Kindern und Jugendlichen klingen die Episoden im Laufe eines Jahres wieder ab. Das Risiko für ein erneutes Auftreten der Erkrankung ist allerdings hoch. Innerhalb von fünf Jahren entwickelt sich mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 bis 70 % eine weitere Episode. Zudem kann es zu negativen Auswirkungen auf das Sozialverhalten und die spätere psychische Gesundheit im Allgemeinen kommen. Eine frühzeitige professionelle Behandlung der Depression ist daher besonders wichtig.
Bei der Behandlung von Depressionen müssen der Schweregrad der Erkrankung, eine mögliche Suizidgefahr, das Entwicklungsstadium der jungen Patient*innen sowie umweltbedingte und soziale Faktoren berücksichtigt werden. Für Kinder und Jugendliche wird in erster Linie eine Psychotherapie, zum Beispiel in Form einer kognitiven Verhaltenstherapie oder einer interpersonellen Therapie, empfohlen. Meistens ist eine ambulante Therapie bereits ausreichend. In manchen Fällen können stationäre Behandlungen jedoch notwendig sein. Tageskliniken können dabei helfen, schrittweise wieder in den Alltag zurückzufinden. Im Rahmen der Psychotherapie werden die Kinder nicht nur behandelt, sondern auch altersentsprechend über ihre Erkrankung aufgeklärt. In der Regel werden auch die Eltern oder weitere Bezugspersonen in die Behandlung eingebunden. Medikamentöse Behandlungen sind bei Kindern und Jugendlichen schwieriger als bei Erwachsenen. So sind die für Erwachsenen hilfreichen trizyklischen Antidepressiva bei Kindern und Jugendlichen nicht wirksam. In Deutschland ist Fluoxetin der einzige Wirkstoff, der für die Behandlung von Depressionen im Kinder- und Jugendalter zugelassen ist. Fluoxetin darf ab einem Alter von 8 Jahren und bei einer mindestens mittelgradigen Depression verschrieben werden. Der Wirkstoff ist ein Selektiver Serotonin-Wiederaufnahme-Inhibitor (SSRI). Er erhöht die Menge des Botenstoffs Serotonin und wird ergänzend zur Therapie genutzt. Falls Fluoxetin wegen Nebenwirkungen oder Kontraindikationen nicht verabreicht werden kann oder nicht gewünscht ist, empfehlen die Leitlinien die Off-Label-Verwendung der SSRI Escitalopram, Citalopram oder Sertralin.
Quellen
Maughan, Barbara et al: Depression in Childhood and Adolescence. In: J Can Acad Child Adolesc Psychiatry. 2013 Feb; 22(1): 35-40. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC3565713/ (Zugriff am 02.06.2024)
https://www.zeit.de/wissen/gesundheit/2016-06/depression-studie-antidepressiva-kinder-jugendliche-wirkung. (Zugriff am 02.06.2024)
https://www.aerzteblatt.de/archiv/46728/Antidepressive-Therapie-bei-Kindern-und-Jugendlichen-Anwendung-und-Stellenwert-der-selektiven-Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (Zugriff am 05.06.2024)
https://www.deutsche-depressionshilfe.de/depression-infos-und-hilfe/depression-in-verschiedenen-facetten/depression-im-kindes-und-jugendalter (Zugriff am 05.06.2024)