Tiergestützte Therapie und Therapiehunde

Tiergestützte Therapie und Therapiehunde

Die tiergestützte Therapie erhält in den letzten Jahren vor allem in den Sozialberufen einen immer höheren Stellenwert. Die traditionsreiche Therapiemethode kann auf eine Vielzahl an Studien und eine lange Forschungsgeschichte verweisen. So fand etwa der erste nachgewiesene Einsatz von Tieren in einem therapeutischen Setting beim „York Retreat“ in England statt (Levinson, 1965), in welchem besonders Menschen mit psychischen Erkrankungen profitierten. Im 19. Jahrhundert wurden Tiere in Pflegeeinrichtungen eingesetzt; im Jahr 1867 kamen Tiere etwa in einem stationären Behandlungszentrum für Menschen mit Epilepsie zum Einsatz. Hintergrund all dieser Einsätze war die Idee, dass Tiere eine sozialisierende und therapeutische Funktion für Menschen haben können. Doch wie genau wirken sie sich im therapeutischen Setting auf den Menschen aus und worauf beruhen diese Wirkungen? Wie werden Therapiehunde ausgebildet und warum gibt es auch grundsätzliche Kritik an der tiergestützten Therapie?

Die Pioniere der tiergestützten Arbeit – Levinson und Freud

Als Pionier der tiergestützten Arbeit gilt Boris Levinson (1960). In den 1960er-Jahren beschrieb er erstmals die Vorteile, die sein Hund Jingles in die Beratungsgespräche mit Kindern und Jugendlichen einbrachte. Levinson betonte vor allem, dass Hunde besonders gut im Bereich der Empathieentwicklung und als Eisbrecher in den Therapien fungieren (1969). Aber auch der bekannte Arzt und Psychotherapeut Sigmund Freud setzte seine Hündin Jofi in seinen Therapien ein. Er schätzte bei diesen Einsätzen vor allem die beruhigende Wirkung, die seine Hündin auf die Patient*innen hatte. An dieser Stelle sei hervorzuheben, dass er die Erfahrung machte, dass manche Klient*innen sich erst bei Anwesenheit von Jofi emotional öffnen konnten. Levinson wiederum entdecke eher zufällig, welch enorm positiven Einfluss Hunde auf die therapeutische Arbeit haben. Im Rahmen einer Sitzung mit einem psychisch beeinträchtigten Kind ließ er es kurz mit seinem Hund allein. Infolgedessen interagierte der Junge mit dem Hund und sprach zum ersten Mal, was er zuvor verweigert hatte. Der Hund hatte also geschafft, was Levinson bis dahin verwehrt geblieben war. Nämlich zu dem Jungen vorzudringen und in weitere Folge eine Therapie für ihn zu ermöglichen. Diese Situation legte den Grundstein für die Entwicklung der heutigen tiergestützten Therapie: Sie animierte Levinson, mit seinen Forschungen weiterzumachen und seinen Hund in weitere Untersuchungen mit Kindern und Jugendlichen einzubeziehen.

Die Entwicklung der tiergestützten Therapien

Ein weiterer Meilenstein für die Entwicklung der heutigen Therapie mit Tieren wurde in den 1970er-Jahren in Amerika gelegt. Die Corsons (1974) gründeten in ihrer psychiatrischen Klinik eine sogenannte Hundestation. Sie wollten das Verhalten der Tiere innerhalb verschiedener Umgebungen untersuchen. Der Hintergrund war, dass sie dachten, dass die Hunde ihnen einen Einblick in das Verhalten von Kindern und Jugendlichen geben würden, welche unter ähnlichen Bedingungen lebten. Da die jungen Patient*innen die Hunde bellen hören konnten, brachen die Jugendlichen ihr bis dahin konsequentes Schweigen und zeigten Interesse an den Hunden. Damit war auch das Interesse der Corsons (1974) geweckt und sie begannen mit Untersuchungen, die die Auswirkungen der Hunde auf die psychiatrischen Klient*innen erforschen sollten. Die Ergebnisse der Studie waren faszinierend, denn der Kontakt zu den Hunden führte bei 28 von 30 Proband*innen zu einer signifikanten Verbesserung der psychischen Beeinträchtigungen (Corson, Corson & Gwynne, 1974). Bis heute gilt die vom Ehepaar Corson gegründete Delta Society als die führende nordamerikanische Organisation in der tiergestützten Therapie. Die Delta Society wurde 1977 in Folge der bisherigen Untersuchungen als gemeinnützige Organisation mit dem Ziel gegründet, Beziehungen zwischen Tieren und Menschen zu fördern und ihre Gesundheit, Unabhängigkeit und Lebensqualität zu verbessern.

Tiergestützte Therapie in der Praxis

Viele Therapiehunde sind dafür bekannt, dass sie ihre Klient*innen enthusiastisch begrüßen (Fine, 2019). In der Literatur gibt es zahlreiche Berichte, die darauf hinweisen, dass Klienten*innen häufig in einer liebevollen Art von den Hunden empfangen werden und diese dadurch die gesamte Aufmerksamkeit der Patient*innen auf sich ziehen. Daher werden Hunde oft als Eisbrecher in therapeutischen Settings genutzt. Tiere im Allgemeinen und Hunde im Besonderen werden als nicht wertend erlebt und vermitteln den Patient*innen oft bedingungslose Akzeptanz. Ein weiterer Grund, aus dem Hunde gerne in Therapien eingesetzt werden, besteht darin, dass viele Menschen Probleme damit haben, ihre Gefühle auszudrücken. Wenn ein Tier in Therapiesitzungen anwesend ist, kann es den Klient*innen dabei helfen, ihre Emotionen besser wahrzunehmen und einzuschätzen. Die Tiere scheinen das emotionale Klima des Raumes zu verbessern (Fine, 2019). Zum Beispiel gibt es zahlreiche Berichte von Klient*innen (aller Altersgruppen), die es schafften, ihre Reaktionen auf Streitigkeiten zu regulieren, wenn ein Tier in der Sitzung anwesend war. Viele Patient*innen scheinen die Anwesenheit des Tieres zu respektieren und möchten kein Unbehagen bei ihm hervorrufen. Zugleich konnte bei Klient*innen, die überschießende emotionale Reaktionen zeigten, beobachtet werden, dass ein sofortiges Feedback des Tieres auf ihr Verhalten sie ruhiger werden ließ. Die Reaktion des Tieres auf verschiedene Emotionen kann folglich ein wertvolles Lehr- / Diskussionsinstrument sein.

Empathieentwicklung in der tiergestützten Therapie

Eine von Levine und Bohn (1986) durchgeführte Studie ergab, dass Kinder, die mit Tieren aufwachsen, einfühlsamer waren als Kinder ohne Haustier. Eine andere Studie ergab, dass die Punktzahl von Kindern auf einer Empathie-Skala nach dem Besuch eines einjährigen Programms zur Tiererziehung in einer Grundschule anstieg. Besonders hervorzuheben ist, dass diese empathischeren Einstellungen ein Jahr nach Abschluss des Programms in der Versuchsgruppe noch vorhanden waren. Expert*innen konnten ferner beobachten, dass bei Menschen, die in Kontakt mit Tieren stehen, die Hormone Serotonin und Dopamin ausgeschüttet werden. Bei ihnen entstehen dadurch Glücksgefühle, wodurch sie ruhiger werden und die Ausschüttung der Stresshormone Adrenalin und Kortisol gehemmt wird. Außerdem setzt dadurch eine Senkung der Herzschlagfrequenz und des Blutdrucks ein. Ferner ist das Hormon Oxytocin von hoher Wichtigkeit in der tiergestützten Therapie. Dieses Hormon ist gemeinhin als ‚Wohlfühlhormon‘ bekannt und wird bei engem Kontakt ausgeschüttet. Studien von Nagasawa (2009) belegen, dass die Interaktion mit Hunden den Oxytocin-Spiegel erhöhen kann.

Kritik an der tiergestützten Therapie

Trotz all der positiven Auswirkungen, die Tieren, besonders Therapiehunde, auf Menschen haben können, gibt es auch negative Aspekte, die vor allem das Tierwohl betreffen. Kritik an der tiergestützten Therapie gibt es vor allem in Hinsicht auf die tierschutzrechtlichen Bereiche. Ein Punkt ist, dass viele Ausbildungsmöglichkeiten angeboten werden, in denen die Ausbilder*innen nicht qualifiziert genug sind und im Rahmen derer auf den Schutz des Hundes nicht bzw. kaum geachtet wird. Um einen Hund als Therapiehund auszubilden, muss man über ein fundiertes Wissen über dessen Körpersprache verfügen und die Fähigkeit haben, adäquat auf die Bedürfnisse des vierbeinigen Co-Therapeuten einzugehen. Kommt es zu einer systematischen Überforderung des Hundes und werden seine Beschwichtigungs- und Stresssignale immer wieder übergangen, kann dies gefährlich werden. Ferner wird der Hund nicht nur das Interesse an der Arbeit im tiergestützten Bereich verlieren, sondern auch Verhaltensprobleme entwickeln. Auch heute kommt es im Rahmen der Ausbildung zum Therapiehund noch zum Einsatz aversiver Erziehungsmethoden, die tierschutztechnisch bedenklich sind. Glenk (2017) stellt sich folglich zu Recht die Frage, ob die tiergestützte Therapie das Wohlergehen von Hunden gefährdet. Sie verweist jedoch auch darauf, dass der Großteil der Hunde, die tiergestützt eingesetzt werden, den Einsatz gerne machen. An dieser Stelle sei jedoch erwähnt, dass sehr wohl über negative Wechselwirkungen in Einrichtungen, in denen Tiere eingesetzt wurden, berichtet wurde. Es wurden Misshandlungen an Besuchshunden beobachtet, welche sowohl von den Mitarbeiter*innen als auch von den Klient*innen ausgingen. Weiterhin berichtet Glenk, dass eine Studie zur Wirksamkeit der tiergestützten Therapie bei Kindern mit Mehrfachbehinderungen abgebrochen werden musste, weil sich der Gesundheitszustand des Therapiehundes immer weiter verschlechterte. Der Hund zeigte im Einsatz sehr starke Stresssignale wie übermäßiges Hecheln und extreme Müdigkeit. Diese Beobachtungen unterstreichen, wie essenziell es ist, dass ein*e Therapiehundeführer*in über die Körpersprache des Hundes genauestens Bescheid weiß und solche Situationen gar nicht erst auftreten lässt. Der Fakt, dass Hunde, wenn sie gestresst sind, auch Signale senden, die für den Laien wirken, als wären sie freudig erregt, zeigt, dass die Verantwortung über das Wohlergehen des Hundes bei dem*r Hundeführer*in liegt und betont abermals die Wichtigkeit einer fundierten Ausbildung. Die Tatsache, dass es kaum Studien gibt, die sich mit dem Wohlergehen des Hundes im Rahmen von tiergestützten Einsätzen beschäftigt, macht deutlich, dass dieses wichtige Forschungsfeld zu wenig Beachtung bekommt. Ein Bedarf an relevanten Studien ist dringend gegeben.
Ferner muss auf tierethische Argumente verwiesen werden, die den Einsatz von Tieren zu Zwecken des Menschen vor dem Hintergrund der fehlenden freien Einwilligung des Tieres konsequent ablehnen. Derartige Einwände betreffen auch die tiergestützte Therapie.

Quellen:
Bachi K, Parish-Plass N.(2017): Animal-assisted psychotherapy: A unique relational therapy for children and adolescents. Online verfügbar unter https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/27742758
Baker S., Anand K., Best A. (2017): Effects of Animal-Assisted Therapy on Patients‘ Anxiety, Fear, and Depression Before ECT. Online verfügbar unter: https://www.researchgate.net/publication/10870346_Effects_of_Animal-Assisted_Therapy_on_Patients’_Anxiety_Fear_and_Depression_Before_ECT
Chandler, C. K. (2012): Animal Assisted Therapy in Counseling: Taylor & Francis.
Fine, Aubrey H. (2019): Handbook on animal-assisted therapy. Foundations and Guidelines for Animal-Assisted Interventions. 5th ed. Amsterdam: Elsevier/Academic Press.
Glenk LM. Current Perspectives on Therapy Dog Welfare in Animal-Assisted Interventions. Animals (Basel). 2017;7(2):7. Published 2017 Feb 1. doi:10.3390/ani7020007
Jones M., Rice S., Cotton S. (2019): Incorporating animal-assisted therapy in mental health treatments for adolescents: A systematic review of canine assisted psychotherapy. Online verfügbar unter: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC6336278/
Levinson B., Mallon G. (1997): Pet-oriented Child Psychotherapy. Charles C Thomas Pub Ltd; Auflage: 2 (1. März 1997).
Nagasawa M., Mogi K., Kikusui T.:(2009) Attachment between humans and dog. Online verfügbar unter: https://onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.1111/j.1468-5884.2009.00402.x