Geschichte der Psychotherapieausbildung in Deutschland

Geschichte der Psychotherapieausbildung

Die Geschichte der Psychotherapie ist weit länger als ihre Institutionalisierung vermuten lassen mag. Rudimentäre Formen wurden bereits lange vor Sigmund Freud und der Psychoanalyse praktiziert – wenngleich eine Methodologisierung ebenso wie eine Systematisierung psychischer Erkrankungen fehlte. Geprägt ist die Geschichte der Psychotherapie – auch die jüngere – dabei von vielen Umschwüngen und Paradigmenwechseln. Diese schlagen sich auch in teilweise drastischen Veränderungen der Ausbildungen zum*r zur Psychotherapeut*in nieder. Der vorliegende Artikel möchte fragmenthaft diese Geschichte der Psychotherapieausbildung in Deutschland in den Blick nehmen. Er erhebt dabei keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern verfolgt das Ziel, durch einige Schlaglichter primär wesentliche Entwicklungs- und Wendepunkte zu beleuchten. Er ist darüber hinaus beschränkt auf die Situation in der Bundesrepublik Deutschland; die Situation in der DDR wird nicht betrachtet.

Phase 1: Psychotherapie in ärztlichen Händen

Methode der Wahl in der Psychotherapie war lange Zeit die Psychoanalyse – oder davon abgeleitete tiefenpsychologische Verfahren. Die Ausbildung lag dabei seit Beginn des 20. Jahrhunderts fest in den Händen von Ärzt*innen. Einige Institute bildeten jedoch auch sog. Laienanalytiker*innen aus, die kein abgeschlossenes Medizinstudium vorweisen konnten. Arbeitsgemeinschaften und Ausbildungsinstitute dieser Schule prägten bis zur Machtergreifung Hitlers die Psychotherapie in Deutschland erheblich und konkurrenzlos. Freuds Bücher wurden verboten, die Psychoanalyse als angeblich jüdische Wissenschaft aus den Lehrplänen gestrichen, ein Großteil der Psychoanalytiker*innen zur Emigration gezwungen. Die Psychotherapie fristete während der NS-Zeit insgesamt ein Nischendasein, waren ihre Grundannahmen und -praktiken doch kaum mit der NS-Ideologie vereinbar.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs kam es schnell zum Wiederaufbau der psychoanalytischen Infrastruktur. Ausbildungsinstitute, Arbeitsgemeinschaften und Co formierten sich erneut, tiefenpsychologische Lehrinhalte wurden wieder Teil des Medizin- und Psychologiestudiums. Insgesamt setzte sich damit lange der Zustand vor der NS-Zeit fort: Psychotherapie war Psychoanalyse und wurde mehrheitlich von Ärzt*innen praktiziert und gelehrt, wenngleich auch Laienanalytiker*innen tätig waren.

Eine geregelte Ausbildung gab es während dieser Zeit indes nicht. Verschiedene psychoanalytische Vereinigungen und Institute legten ihre jeweils eigenen Kriterien für die Zulassung zur Ausbildung, ihren Umfang und ihre Inhalte fest, die sich meist jedoch ähnelten. Staatliche Regelungen existierten nicht.

Phase 2: Klinische Wende in der Psychologie und Aufschwung nichtärztlicher Psychotherapeut*innen

Zu einem starken Wandel in der Psychotherapielandschaft und der damit verbundenen Ausbildungswege kommt es in den 1960er-Jahren. Zurückzuführen ist das auf das Aufkommen der humanistischen Psychologie mit der klient*innenzentrierten Gesprächstherapie nach Carl Rogers sowie der Verhaltenstherapie in Deutschland. Beide wurden in den USA entwickelt und dort bereits länger praktiziert, als sie auch in Deutschland an Popularität gewinnen. Interessant ist dabei, dass die neuen Formen von Psychotherapie insbesondere bei Psycholog*innen auf Interesse stoßen, während die Medizin sich ihnen kaum zuwendet. Die Verhaltenstherapie wird im Rahmen der sog. Klinischen Wende ins Psychologiestudium, das fortan einen stärker klinischen Fokus aufweist, einbezogen. Hinzu kommen Weiterbildungsangebote für bereits ausgebildete Psycholog*innen. Der Aufbau entsprechender universitärer wie außeruniversitärer Institute vollzieht sich dabei bemerkenswert schnell. Psycholog*innen werden damals erstmals gezielt therapeutisch geschult, gewinnen in diesem Bereich massiv an Kompetenz – und darüber hinaus eigene Therapiedomänen jenseits der Psychoanalyse. Während die Verhaltenstherapie klar dominiert, nimmt vor allem in der Anfangszeit auch die bereits erwähnte humanistische Psychologie mit ihren Therapieverfahren eine bedeutende Rolle ein. Hinzu kommt ferner die systemische Therapie. Die Psychoanalyse bleibt derweil klar in ärztlicher Hand. Staatlich vorgegebene Ausbildungswege existieren unterdessen weiterhin nicht. Die Institute und Verbände erlassen vielmehr ihre eigenen Regeln, die sich mitunter voneinander unterscheiden.

Phase 3: Psychotherapie wird Kassenleistung

In den 1970er-Jahren kommt es zu einem weiteren Meilenstein: Nachdem der Bundesgerichtshof 1964 festgestellt hatte, dass psychische Störungen als behandlungsbedürfte Erkrankungen einzustufen sind, und die gesetzlichen Krankenkassen 1967 Psychoanalyse zur Kassenleistung machten, wird im Jahr 1972 das sog. Delegationsverfahren eingeführt. Mit diesem wird es Ärzt*innen möglich, die Ausübung psychotherapeutischer Leistungen an entsprechend geschulte Psycholog*innen zu delegieren – und dennoch mit den gesetzlichen Krankenkassen abzurechnen. Zu verstehen ist das Delegationsprinzip dabei primär als Antwort auf eine Mangelversorgung: Die Anzahl psychotherapeutisch tätiger Ärzt*innen reichte bei Weitem nicht aus, um den Bedarf an Therapie abzudecken. Da lediglich Psychoanalyse mit den Krankenkassen abgerechnet werden konnte, mussten die über die Delegation in der Kassenversorgung tätigen Psycholog*innen eine psychoanalytische Aus- oder Weiterbildung vorweisen können – was insofern interessant ist, als es sich dabei um eine primär bei Mediziner*innen beliebte Therapieform handelte. Zum Delegationsverfahren wurden nach einiger Zeit überdies Pädagog*innen zugelassen, die psychoanalytisch geschult waren. Sie durften ausschließlich Kinder und Jugendliche behandeln, um die hier weiterhin bestehende Versorgungslücke zu schließen.

Im Jahr 1980 machten die Ersatzkassen auch Verhaltenstherapie zur Kassenleistung. Die regulären gesetzlichen Krankenkassen zogen im Jahr 1987 nach. Nach ärztlicher Delegation durften Psycholog*innen mit verhaltenstherapeutischer Weiterbildung nun auch zulasten der Krankenkassen psychotherapeutisch tätig werden.

Das Delegationsverfahren führte zu einer weiteren Vereinheitlichung der Ausbildungen im Bereich der Psychotherapie. So forderten die Krankenkassen für die Zulassung zum Delegationsverfahren den Nachweis entsprechender Kenntnisse, was zu einer Anpassung der entsprechenden Aus- bzw. Weiterbildungen führte. Hierin kann ein erster deutlicher Vorläufer des heutigen Systems mit einheitlicher Ausbildung, Qualitätskontrollen (etwa mit einer Checkliste zur Einführung eines QM-Systems) und Ähnlichem gesehen werden. Für die nichtärztlichen Psychotherapeut*innen war das Verfahren jedoch auch mit erheblichen Nachteilen verbunden. So konnten sie nicht selbst mit den Kassen abrechnen, sondern waren auf die Kooperation mit Ärzt*innen angewiesen, die die Diagnosen und Indikationen stellten und für die Abrechnung zuständig waren. Die Einschränkungen des Delegationsverfahrens führte dazu, dass im Jahr 1993 die Möglichkeit geschaffen wurde, nach Abschluss eines Psychologiestudiums ohne psychotherapeutische Weiterbildung eine Zulassung als Heilpraktiker*in im Bereich der Psychotherapie zu beantragen. Für Psycholog*innen wurde es so möglich, außerhalb des Delegationsverfahrens psychotherapeutisch tätig zu werden – und dabei eigenverantwortlich zu handeln. Eine spezifische Ausbildung in Psychotherapie war hierfür jedoch nicht vorgeschrieben.

Phase 4: Das Psychotherapeutengesetz von 1999

Den wohl deutlichsten Einschnitt in die Psychotherapieausbildung in Deutschland stellt das sog. Psychotherapeutengesetz von 1999 dar. Mit diesem wurde die Berufsbezeichnung Psychotherapeut*in gesetzlich geschützt und die erforderliche Ausbildung staatlich geregelt. Vorgesehen waren dabei zwei verschiedene Berufe mit unterschiedlichen Ausbildungswegen: Neben Psychologischen Psychotherapeut*innen, die für Erwachsene zuständig sind, wurden Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut*innen zugelassen.

Psychologische Psychotherapeut*innen müssen ein Diplom (später: einen Master) in Psychologie vorweisen können und anschließend eine mindestens dreijährige postgraduale Ausbildung in einem anerkannten Psychotherapieverfahren (Analytische Psychotherapie, tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie, Verhaltenstherapie und später systemische Therapie) absolvieren. Die Ausbildung, die theoretische wie praktische Anteile umfasst, schließt mit der Approbationsprüfung, die den Eintrag ins Arztregister ermöglicht.

Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut*innen hingegen können neben einem Abschluss in Psychologie auch mit einem solchen in Pädagogik, Sozialpädagogik oder einem eng verwandten Fach zur postgradualen Ausbildung zugelassen werden, die ebenfalls mindestens drei Jahre dauert. Auch diese Ausbildung erfolgt in einem der anerkannten Psychotherapieverfahren und schließt mit der Approbationsprüfung, die den Eintrag ins Arztregister ermöglicht.

Die Psychotherapieausbildung in Deutschland ist damit erstmals staatlich geregelt. Darüber hinaus gelten Psychotherapeut*innen fortan als Heilberufler*innen – und dürfen damit unabhängig von Ärzt*innen psychotherapeutisch tätig werden.

Phase 5: Das Psychotherapeutengesetz von 2020

Mit Wirkung zum 1. September 2020 wurde das Psychotherapeutengesetz grundlegend verändert. Die Berufe des*r Psychologischen Psychotherapeut*in und des*r Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut*in wurden zugunsten des Einheitsberufs des*r Psychotherapeut*in abgeschafft. Auch die postgraduale Ausbildung wurde in der bisherigen Form abgeschafft. Stattdessen führt nun ein Masterstudium der Klinischen Psychologie und Psychotherapie, das auf ein Bachelorstudium der Psychologie aufbaut und staatlich akkreditiert sein muss, direkt zur Approbation. An diese schließt sich lediglich eine Fachweiterbildung, die äquivalent zur Fachärzt*innenweiterbildung konzipiert ist, an. Das neue Psychotherapeutengesetz stellt damit einen deutlichen Schritt weg von der vorher erhaltenen Vielfalt der Zugänge zur psychotherapeutischen Tätigkeit dar.

Weiterführende Literatur:
Schulte, Dietmar (2021): „Der lange Weg zum Psychotherapeutengesetz. Vier Schritte in drei Jahrzehnten“. In: Psychologische Rundschau. Nr. 72. Heft 3. S. 201-210. Online verfügbar unter: https://econtent.hogrefe.com/doi/epdf/10.1026/0033-3042/a000546