Erikson: Stufenmodell der psychosozialen Entwicklung

Eriksons Stufenmodell der psychosozialen Entwicklung

Erik H. Erikson versucht mit seinem Stufenmodell der psychosozialen Entwicklung, die Entwicklung der gesunden Persönlichkeit nachzuzeichnen. Er steht dabei zwar in der psychoanalytischen Tradition, möchte sich jedoch von ihrer Fokussierung auf psychische Störungen absetzen. Hierbei versteht Erikson sein Modell als deskriptiv: Er will beschreiben, wie die Persönlichkeit sich hin zum gesunden Zustand – darunter versteht er die Fähigkeit, äußere wie innere Probleme zu bewältigen und dabei weiterhin über Lebenskraft zu verfügen – entwickelt.

Eriksons Stufenmodell: Krisen und Konflikte als Entwicklungsaufgaben

Zentral ist hierbei die Annahme, dass das Individuum zunächst nicht in der Lage ist, Problemlagen selbstständig zu bewältigen und sich sicher in der Welt zu bewegen. Erikson klassifiziert das Stadium der Kindheit entsprechend als ein solches, das zunächst gerade durch das Fehlen dieser Fähigkeit geprägt ist. Hinzu tritt jedoch als zweites Kernmerkmal der Kindheitsphase die „allmähliche Entwicklung in vielen komplizierten Stadien“ (S. 57), in denen sich die Persönlichkeit als kompetent erweisen und weiterentwickeln kann. Mit der Kindheit ist die Entwicklung jedoch nicht abgeschlossen: Erikson zufolge ist das gesamte Leben durchzogen von Entwicklungsaufgaben. Eine gesunde Persönlichkeit ist also kein statischer Zustand, der an einem bestimmten Punkt erreicht und von da an nicht mehr zu verlieren ist; sie muss sich vielmehr immer wieder bewähren, steht vor immer wieder neuen Problemen, an denen sie reifen muss.

Die „vielen komplizierten Stadien“ (S. 57) der Kindheit münden entsprechend in die mindestens ebenso komplizierten Problemlagen der Jugend, an die sich die Schwierigkeiten des Erwachsenenalters anschließen. Zuletzt steht das Individuum vor den spezifischen Konflikten des Alters, die es bewältigen muss. Ob es sich um eine gesunde, eine kompetente Persönlichkeit handelt, kann also nicht erst am Ende der Entwicklung – denn ein solches gibt es erst mit dem Tod – festgestellt werden, sondern vielmehr im dynamischen Prozess: Es geht darum, die jeweils altersspezifischen Problemlagen bewältigen zu können. Eine gesunde Persönlichkeit sieht in der Kindheit also beispielsweise anders aus als in der Jugend und wird an der Bewältigung anderer Probleme gemessen.

Dennoch gibt es eine Art roten Faden, der sich durch die gesamte Entwicklung der Persönlichkeit zieht: Wer eine Entwicklungsaufgabe erfolgreich bewältigt, hat gute Chancen, auch die nächste Hürde zu nehmen; wer hingegen an einer bestimmten Entwicklungsaufgabe scheitert, wird vermutlich auch die nächste nicht bewältigen können. Kompetenz erwächst bei Erikson also aus Krisen. Nur, wer die spezifischen Krisen seiner jeweiligen Lebensphase erfolgreich bewältigt, ist mit dem nötigen Rüstzeug für die jeweils nächste Lebensphase ausgestattet.

Eriksons acht Entwicklungsstufen

In seiner Theorie beschreibt Erikson acht Kernkonflikte, vor denen jede Person im Laufe ihres Lebens steht. Vier dieser Konflikte treten im Laufe der Kindheit auf, der damit entwicklungstechnisch eine besonders herausgehobene Rolle zukommt. Ein Konflikt ist dem Jugendalter, einer dem frühen Erwachsenenalter, einer dem mittleren Erwachsenenalter und einer dem hohen Alter zugeordnet. Die verschiedenen Stadien des Stufenmodells der psychosozialen Entwicklung sollen nachfolgend kurz beschrieben werden.

Entwicklungsaufgabe 1: Ur-Vertrauen vs. Ur-Misstrauen

Die erste Entwicklungsaufgabe, die der Mensch zu bewältigen hat, ist die der Ausbildung eines Ur-Vertrauens. Erikson spricht diesbezüglich von einem Gefühl des „Sich-verlassen-Dürfens […] und zwar in bezug auf die Glaubwürdigkeit anderer wie die Zuverlässigkeit seiner selbst“ (S. 62.). Diese Entwicklungsaufgabe ist direkt zu Beginn des Lebens verortet und hängt eng mit der Versorgung des Kindes zusammen: Erhält es Nähe, Nahrung, Aufmerksamkeit, Wärme? Herausgestellt ist damit auch die Bedeutung des sozialen Umfelds für die psychische Entwicklung: Eriksons Stufenmodell ist eines der psychosozialen Entwicklung, da diese beiden Faktoren nicht zu trennen sind.

Entwicklungsaufgabe 2: Autonomie vs. Scham und Zweifel

Diese zweite Entwicklungsstufe ist geprägt vom kindlichen Experimentierdrang: Es möchte auf unterschiedlichsten Ebenen die „parallellaufenden sozialen Modalitäten: festhalten und loslassen“ (S. 80), deren Erprobung sein weiterentwickelter Muskelapparat ihm nun erlaubt, auszuprobieren. Die Eltern stehen in diesem Stadium vor der Aufgabe, einen Erziehungsstil zu entwickeln, der dem Kind genügend Experimentierfreiraum gibt, ohne es dabei zu großen Gefahren auszusetzen. Hier eine Balance zu finden, ist dabei wesentlich: Wird das Kind immer wieder eingeschränkt, erlebt es sich und seine Wünsche Erikson zufolge als schlecht – es entwickelt tiefe Schamgefühle.
Um diese Entwicklungsaufgabe bewältigen zu können, sind zwei Faktoren von Bedeutung: Das Kind muss ein Ur-Vertrauen entwickelt haben und die Eltern müssen selbst ein „Gefühl persönlicher Unabhängigkeit“ (S. 84) haben, um Umstände schaffen zu können, in denen auch ihr Kind ein solches ausbilden kann. Hier wird damit einmal mehr die soziale Dimension der psychischen Entwicklung betont.

Entwicklungsaufgabe 3: Initiative vs. Schuldgefühl

Ist das Autonomieproblem gelöst, steht das Kind vor dem nächsten Problem. Es ist nun körperlich so weit entwickelt, dass es sich eigenständig in der Welt bewegen kann: Es läuft und es knüpft im Kindergarten oder auf dem Spielplatz Kontakte zu anderen Kindern. Es ist neugierig, beherrscht die Sprache und hat die Fähigkeit zur Imagination erworben. Problematisch wird all das, da das Kind beginnt, sich Dinge vorzustellen, die es ängstigen und die ihm seine Unterlegenheit den Eltern gegenüber vorführen. Ins Zentrum stellt Erikson hier in psychoanalytischer Tradition den Ödipuskomplex, bei dem – eine binäre Geschlechterordnung wird stillschweigend vorausgesetzt – das gegengeschlechtliche Elternteil begehrt und zugleich die Überlegenheit des gleichgeschlechtlichen erkannt wird.
Neben diesem Problem steht es vor einem der Moralentwicklung: Das Kind hat moralische Werte in diesem Stadium internalisiert und fühlt sich selbst für Missetaten, die es bloß imaginiert, schuldig. Hinsichtlich der Etablierung und Aufrechterhaltung einer gesellschaftlichen Ordnung ist dieser Entwicklungsschritt wichtig, da das sich hierin zeigende Gewissen im gesamten Leben Richtschnur des eigenen Handelns bleiben wird; problematisch sind jedoch die damit einhergehenden starken Schuldgefühle, die die Initiative des Kindes, das Ausleben seiner Wünsche, Fähigkeiten usw., verhindern können. Erikson sieht hier vor allem die Eltern in der Pflicht, eine Balance zwischen beiden Aspekten zu schaffen, indem sie dem Kind die Möglichkeit bieten, sich altersgerecht auszuleben und tätig zu werden. Erikson weist hier ferner darauf hin, dass das Kind in dieser Phase besonders daran interessiert ist, „an Pflichten und Leistungen“ teilzuhaben; Aufgabe der Eltern ist also nicht die bloße Beschäftigung des Kindes, sondern die Vermittlung des Gefühls, sich nützlich einbringen zu können.

Entwicklungsaufgabe 4: Werksinn vs. Minderwertigkeitsgefühl

Das Kind ist nun im Schulalter angekommen. Es spielt und in diesem Spiel bewältigt es, so Erikson, schwierige Erfahrungen und Herausforderungen – ganz so, wie Erwachsene diese in Selbstgesprächen oder Tagträumen durchspielen und zu lösen versuchen. Das kindliche Spiel ist damit nicht nur eine Tätigkeit, im Rahmen derer basale Techniken erlernt werden, sondern auch eine solche, die es dem Kind ermöglicht, Erlebnisse zu bewältigen und sich in dieser Hinsicht weiterzuentwickeln. Das Spiel stößt jedoch irgendwann an seine Grenzen und genügt dem Kind nicht mehr. Es will nun – wie in der vorherigen Stufe – „das Gefühl haben, auch nützlich zu sein, etwas machen zu können und es sogar gut und vollkommen zu machen“ (S.102). Erikson bezeichnet diesen Drang als Werksinn. Das Kind entwickelt Fleiß, arbeitet ausdauernd an gestellten Aufgaben und führt sie zu Ende. Wichtig ist hier Erikson zufolge, dass es in diesem Bemühen gestärkt und durch adäquate Aufgabenstellung unterstützt wird – andernfalls drohen Minderwertigkeitsgefühle. Werden dem Kind keine Aufgaben gestellt, erlebt es sich als nutzlos; ist es mit überfordernden Aufgaben konfrontiert, erlebt es sich als wertlos. Entsprechend plädiert Erikson für „eine[] milde[], aber feste[] Disziplin“ (S. 100), auch in der Schule, der Kinder sich seiner Auffassung nach aufgrund ihres Werksinns gerne fügen.

Entwicklungsaufgabe 5: Identität vs. Identitätsdiffusion

Nach den ersten vier Entwicklungsstufen ist die Kindheit vollbracht; wir sind in der Jugend angekommen, in der der sich entwickelnde Mensch vor der wohl größten Aufgabe steht: Es gilt, eine Ich-Identität auszubilden. Erikson versteht hierunter das „Vertrauen darauf, daß der Einheitlichkeit und Kontinuität, die man in den Augen anderer hat, eine Fähigkeit entspricht, eine innere Einheitlichkeit und Kontinuität […] aufrechtzuerhalten“ (S. 107). Es geht in dieser Stufe darum, dass das Individuum herausfindet, wer und was es sein will. Es muss, so Erikson, zu einer stabilen Identität finden.
Wesentlich hierfür sind einerseits die in den vorhergehenden Entwicklungsstufen gesammelten Kompetenzen, Werte und Identifikationen, andererseits aber auch die Bewältigung der spezifischen Schwierigkeiten der Pubertät. Erikson verweist darauf, dass es in diesem Stadium in gewissem Maße verständlich und akzeptabel sei, eine Gruppenidentität zu suchen und zu verteidigen – mit allen negativen Konsequenzen. Im Falle der gesunden Entwicklung geht diese Zeit des Ausprobierens von Möglichkeiten über in ein Bewusstsein einer festen Identität: Das Individuum hat herausgefunden, wer es sein will, woran es sich festhalten will usw. Es hat ein festes Selbstbild ausgebildet. Eine wichtige Rolle weist Erikson hier auch der Berufswahl zu.
Gelingt das nicht, liegt Identitätsdiffusion vor: An die Stelle der Überzeugung einer inneren Kontinuität und des Gefühls, zu wissen, wer man ist, tritt ein Gefühl des Verlorenseins in der Welt, das den Anschluss an Gruppen mit starker Kollektividentität, soziale Isolation und eine Existenz am Rande der Gesellschaft begünstigt. Erikson weist ferner darauf hin, dass in diesem Falle die bereits bewältigten Konflikte der Kindheit erneut ausbrechen, was zu weiterer Irritation führt.

Entwicklungsaufgabe 6: Intimität und Solidarität vs. Isolation

Ist die Jugendzeit vorüber, geht das Individuum ins Erwachsenenalter über, in welchem es vor der Aufgabe steht, intime Beziehungen auszubilden. Unter einer intimen Beziehung versteht Erikson sowohl Liebesbeziehungen als auch Freundschaften. Seinen Fokus legt er jedoch auf die Entwicklung einer Beziehung mit „einem geliebten Partner des anderen Geschlechts“, die für ein Ausweis der gesunden psychosozialen Entwicklung ist. Eriksons verweist darauf, dass intime Beziehungen erst ausgebildet werden können, wenn ein festes Selbstbild vorliegt.

Entwicklungsaufgabe 7: Generativität vs. Stagnation und Selbstabsorption

Die nächste Entwicklungsaufgabe besteht darin, Generativität zu entwickeln: Wer im frühen Erwachsenenalter Intimität entwickelt hat, wird in seiner ausschließlich heterosexuell gedachten Paarbeziehung „bald wünschen […], mit vereinter Kraft einen gemeinsamen Sprößling aufzuziehen“ (S. 117). Die Elternschaft ist für Erikson dabei explizit ein „Kriterium seelischer Gesundheit“ (S. 117). Nur, wer „wegen unglücklicher Umstände oder aufgrund besonderer Gaben“ (S. 117) kein Kind in die Welt setzen kann, kann seine „elterliche Verantwortung“ (S. 117) auf andere Weise entwickeln und ausleben und dabei auch als psychisch gesund gelten.
Gelingt die Entwicklung des Wunsches nach Fortpflanzung und Aufzucht einer neuen Generation nicht, droht nach Erikson Stagnation, die sich in einem „übermächtigen Gefühl von Stillstand und Verarmung in zwischenmenschlichen Beziehungen“ (S. 118) und dem „quälende[n] Bedürfnis nach Pseudointimität“ (S. 118) äußert.

Entwicklungsaufgabe 8: Ich-Integrität vs. Verzweiflung

Die letzte Entwicklungsaufgabe verortet Erikson am Ende des Lebens. Hier steht der Mensch ihm zufolge vor der Aufgabe, Ich-Integrität zu erreichen: Er muss mit seinem Leben, für das einzig er allein die Verantwortung getragen hat, ins Reine kommen. Gelingt das nicht, steht am Ende des Lebens Verzweiflung, da sich Entscheidungen nicht mehr rückgängig machen lassen und nicht mehr genügend Zeit bleibt, sich noch einmal ganz neu zu entwerfen. Erikson stellt heraus, dass Ich-Integrität nur erreichen kann, wer alle vorherigen Entwicklungsaufgaben gemeistert hat.

Joan Erikson und das Entwicklungsmodell

Verwiesen sei hier noch auf eine historische Tatsache, die in der Rezeption des Modells häufig zu kurz kommt: Entwickelt hat Erik Erikson das Modell nicht alleine, sondern gemeinsam mit seiner Frau Joan Erikson. Das gilt indes nicht nur für die hier vorgestellte Theorie, sondern im Grunde für das gesamte Werk, das unter seinem Namen veröffentlicht wurde. Möglicherweise ist die weitgehende Ausklammerung Joan Eriksons in der Rezeption auch auf diesen Umstand zurückzuführen, der selbst jedoch wieder auf das grundlegende Problem patriachaler Gesellschaftsstrukturen zurückweist.* Nach Erik Eriksons Tod hat Joan Erikson dem Modell eine neunte Entwicklungsaufgabe hinzufügt: Im sehr hohen Alter steht der Mensch vor der Aufgabe, mit dem zunehmenden Verlust erworbener Fähigkeiten zurechtzukommen, was bereits bewältigte Konflikte erneut aufbrechen lässt. So stellt sich etwa die im ersten Lebensjahr verortete Frage nach dem Ur-Vertrauen angesichts des körperlichen Abbaus und der damit verbundenen Infragestellung der eigenen Leistungsfähigkeit erneut; auch die Frage nach der Autonomie bricht angesichts der körperlichen Entwicklung des hohen Alters erneut auf. Joan Erikson verweist diesbezüglich darauf, dass angesichts dieser Entwicklung gerade die zuvor negativen Pole der Entwicklungsaufgaben integriert werden müssten. So sind etwa Zweifel an der eigenen Unabhängigkeit im hohen Alter kaum von der Hand zu weisen; sie müssen Joan Erikson folgend entsprechend als begründet ins Selbstbild integriert werden.

Kritik an Eriksons Stufenmodell: Festschreibung einer Normalitätsordnung

Mit seiner schematischen Einteilung des Lebens in verschiedene Entwicklungsphasen, die von charakteristischen Krisen geprägt sind, an denen das Individuum wachsen und sich so fortentwickeln kann, erscheint das vorgestellte Entwicklungsmodell zunächst attraktiv. Bei genauerer Betrachtung erweist es sich jedoch als grundlegend problematisch.

Das zentrale Problem teilt das Entwicklungsmodell mit allen normativ orientierten Theorien der Sozialisation: Es schreibt die gesellschaftliche Norm derjenigen Zeit und desjenigen Raumes, in der bzw. in dem es entstanden ist, unkritisch als gesundes, zu erreichendes Ziel fest. Hierbei übernimmt es nicht nur unreflektiert die Denk- und Einordnungsmodelle seiner Zeit, so etwa das bei Erikson schlicht als gegeben vorausgesetzt binäre Geschlechtssystem, sondern entwickelt auch kein Bewusstsein für die Kontingenz der Normalitätsordnung dieser Zeit. Es schreibt diese vielmehr als überzeitlich gültiges normatives Ideal fest, was überdies eine Verwischung der Grenze zwischen Empirischem und Normativem bedeutet. Auch Lothar Krappmann weist darauf hin, dass das Modell aus der Zeit gefallen scheint

Mit dieser Vorgehensweise schafft es die Grundlage für die Pathologisierung von Abweichungen, die im Modell explizit vorgenommen werden: Wer nicht dem Ideal und der empirischen Norm der US-Gesellschaft der 40er- und 50er-Jahre entspricht, ist – Eriksons Modell folgend – entwicklungsgestört. In diesem Sinne versteht er Homosexualität ebenso wie Kinderlosigkeit, Singledasein oder nichtmonogame Formen des Zusammenlebens als Indizien einer gestörten psychosozialen Entwicklung. Das Vorlegen der Entwicklungstheorie erscheint damit in letzter Konsequenz als hegemonialer Akt der Festschreibung einer spezifischen Normalitätsordnung, die ihrerseits kontingent ist. Letztgenannter Punkt ist dabei durch den empirisch festzustellenden Wandel der Normalitätsvorstellungen und empirischen Normen über die Zeit hinweg bewiesen. Infrage gestellt ist damit vor allem die Wissenschaftlichkeit der von Erikson vorgelegten Theorie: Sie erscheint, indem sie die empirische Norm einer spezifischen Gesellschaft zu einer spezifischen Zeit als normatives Ideal festschreibt und über die Kategorisierung als gesund als Grundlage institutionalisierter Ausschlussmechanismen propagiert, zutiefst ideologisch befangen.

Insgesamt liefert Erikson damit also mehr eine soziologische Studie zu den Bedingungen und empirischen Normen des Aufwachsens und der Entwicklung in den USA in den 40er- und 50er-Jahren als eine allgemeingültige Theorie der psychosozialen Entwicklung.

Anmerkung:
*Ist im vorliegenden Artikel trotz der geäußerten Kritik die Rede von Eriksons Stufenmodell, so ist das nicht nur dem Umstand der Veröffentlichung des Textes unter seinem Namen, sondern auch der so hergestellten barrierefreien Anknüpfbarkeit an den bisherigen Diskurs um das Entwicklungsmodell geschuldet.

Literatur:
Alle Zitate stammen aus Erikson, Erik H. (1979): „Wachstum und Krisen der gesunden Persönlichkeit“. In: Ders.: Identität und Lebenszyklus. Frankfurt am Main. S. 55-122. [orig. 1950].
Zu Joan Eriksons neunter Entwicklungsstufe: Erikson, Erik H./ Erikson, Joan M. (1998): The Life Cycle completed. (Extended version). New York.