Die Art und Weise, wie Wissen und Werte vermittelt und wie gesellschaftliche Perspektiven geformt werden, kann weitreichende Auswirkungen sowohl auf Individuen als auch auf die Gesellschaft als Ganzes haben. Die Wechselwirkung von Ideologie und Erziehung ist ein kontroverses Thema. Ideologie kann sowohl sehr direkt als auch sehr subtil Eingang in Lehrpläne und Erziehungsmethoden finden und nicht nur offensichtlich ideologische Herrschaftsformen sorgen für ein ideologisch geprägtes Bildungswesen und eine ideologisch geprägte Erziehung. Wir umreißen im Folgenden den Ideologiebegriff, zeigen am Beispiel des Nationalsozialismus, wie umfassend und folgenschwer eine ideologische Erziehung für ganze Generationen sein kann, und stellen zu guter Letzt die Frage in den Raum, ob eine unideologische Erziehung überhaupt möglich ist.
Ideologische Erziehung – eine Definition
Bei der ideologischen Erziehung geht es darum, dem Individuum eine bestimmte Reihe von Überzeugungen, Werten und Grundsätzen zu vermitteln, um seine Weltanschauung und seine Sichtweise in Bezug auf soziale, politische und moralische Fragen zu prägen. Das Ziel der ideologischen Erziehung ist es, den Lernenden eine bestimmte Ideologie oder ein bestimmtes Gedankengut zu vermitteln. Dahinter steckt in der Regel das Ziel, eine bestimmte politische, religiöse oder soziale Agenda zu fördern. Diese Form der Erziehung wird in der Regel von Gruppen, Institutionen, Organisationen oder Behörden durchgeführt bzw. gefördert, die ein Interesse an der Förderung ihrer eigenen Ideologie haben.
Bei der ideologischen Erziehung kann eine politisch-ideologische Erziehung von der religiös-ideologischen Erziehung und der sozial-ideologischen Erziehung unterschieden werden. Die Grenzen können fließend sein.
Der Ideologiebegriff und das Mittel der Erziehung
Doch was ist Ideologie überhaupt? Erstmals verwendet wurde der Begriff Ideologie im 18. Jahrhundert. Ideologie wurde als Wissenschaft der Ideen begriffen und es ging um die Entwicklung unterschiedlicher Weltbilder und Weltanschauungen, um kritisches Denken und die Entwicklung entsprechender Normen- und Wertsysteme. Doch nach und nach wurde die Theorie immer mehr in die Praxis verlagert und Bildung und Erziehung wurden probate Mittel für die Umsetzung bestimmter Ideologien. Heute ist der Begriff der Ideologie primär negativ konnotiert, was zum einen auf die Nähe praktischer Ideologie zur institutionellen Manipulation, zum anderen auf die marxistische Verwendung des Begriffs zurückzuführen ist. Bei Marx bezeichnet der Begriff ein Weltbild, das nicht gut begründet ist – eine falsche Weltanschauung.
Die Gratwanderung zwischen Wertevermittlung und Manipulation
Der Begriff der ideologischen Erziehung hingegen kann zunächst einmal sowohl positiv als auch negativ konnotiert sein. Eine ideologische Erziehung dient zunächst einmal ganz neutral betrachtet dazu, Werte, ethische Grundsätze und Kenntnisse zu vermitteln, die dem*r Einzelnen helfen, fundierte Entscheidungen zu treffen. So wird eine ideologische Erziehung heute zumeist als positiv empfunden, wenn sie darauf ausgerichtet ist, eine politische Bildung zu bewirken, die Werte wie Demokratie, Menschenrechte und staatsbürgerliche Verantwortung vermittelt und Menschen darin bestärkt, sich zu informieren und zu engagieren.
Doch ideologische Erziehung kann auch kontrovers und ethisch problematisch sein. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn ideologische Erziehung zu einem Instrument der Manipulation oder der Unterdrückung abweichender Meinungen wird und Menschen ein bestimmtes Weltbild aufzwingt. Als problematisch wird eine ideologische Erziehung heute vor allem dann wahrgenommen, wenn sie mit Propaganda und Indoktrination einhergeht. Staatsapparate, Organisationen und Bewegungen können im Rahmen einer ideologischen Erziehung dafür sorgen, dass Informationen einseitig und voreingenommen verbreitet werden und Menschen davon überzeugen, eine bestimmte Ideologie zu übernehmen, ohne diese zu hinterfragen oder zu prüfen.
Zahlreiche Beispiele aus der Gegenwart sowie historische Beispiele zeigen allzu deutlich, wie Organisationen und ganze Staatsapparate eine ideologische Erziehung nutzen, um Einfluss auf die Gesellschaft zu nehmen, Macht zu erhalten und ihre Werte und Ideen durchzusetzen. Aus diesem Grund wird der entsprechende Begriff heute zumeist als negativ konnotiert empfunden.
Ideologische Erziehung am Beispiel des Nationalsozialismus
Die Funktionsweise und mögliche Tragweite einer ideologischen Erziehung wird am Beispiel der Neuausrichtung des Bildungssystems unter der nationalsozialistischen Herrschaft in Deutschland besonders deutlich. Die ideologische Erziehung zwischen 1933 und 1945 war besonders umfassend und hielt nicht nur Einzug in Schulen und andere Bildungseinrichtungen, sondern reichte tief in das Privatleben der Familien hinein.
Nachdem die Nationalsozialist*innen 1933 an die Macht gekommen waren, verabschiedeten sie sehr schnell neue Gesetze, um das öffentliche Bildungswesen zum Spiegelbild ihrer nationalistischen und rassistischen Ideologie zu machen und entsprechende Lehren zu verbreiten. Jüdische, sozialdemokratische und liberale Lehrer*innen wurden aus ihren Ämtern entlassen. Andere Lehrer*innen wurden unter Druck gesetzt, damit sie dem Nationalsozialistischen Lehrerbund beitraten. Bereits im Jahr 1936 waren über 97 % der Lehrer*innen Mitglied des Lehrerbunds.
Darüber hinaus wurden neue Lehrpläne und Schulbücher erstellt, die im ganzen Land angewendet wurden. Von Lehrer*innen sprach man meist nur noch als Erzieher*innen. Und Erziehung wurde mit strenger Zucht gleichgesetzt. Erzieher*innen sollten weniger belehren als vielmehr befehlen und diese Befehle notfalls mit Gewalt durchsetzen. Ausgebildet wurden die Lehrkräfte nicht mehr an den Universitäten, sondern an eigens ins Leben gerufenen sog. Lehrerbildungsanstalten.
Dr. Bernhard Rust (1883 – 1945) war ein Hauptvertreter der nationalsozialistischen Erziehung und ab 1934 Leiter des Reichsministeriums für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung. Er verfügte, dass in den nationalsozialistischen Schulen der Sportunterricht eine Hauptrolle spielen sollte. Des Weiteren waren vor allem Deutsch, Naturwissenschaften, Mathematik und Geschichte für die Jungen, Eugenik und Hauswirtschaft für die Mädchen vorgesehen. Andere Fächer waren zulässig, wenn sie zur Förderung des nationalsozialistischen Gedankenguts unterrichtet wurden – allgemein fand eine Ideologisierung des Fachunterrichts statt. Ein Unterricht im Sinne einer umfassenden und grundlegenden Bildung wurde als unwichtig angesehen. Unterricht sollte vor allem eines sein: zweckdienlich. Er sollte aus Jungen Soldaten und aus Mädchen Soldatenmütter machen. Rust formulierte seine Absichten folgendermaßen: „[D]ie Hauptaufgabe der Erziehung ist es, Nationalsozialisten zu bilden“ (zit. n. Oberheid, S. 392).
Auch für Hochschulen und Universitäten wurden neue Richtlinien erstellt. Diese zielte auf eine Zentralisierung ab und alle Rektoren waren fortan direkt Rust unterstellt.
Erziehung des Nationalsozialismus wird erst allmählich überwunden
Das Umschreiben der Lehrpläne und Lehrbücher, die neuen Strukturen des Bildungssystems waren die eine Seite der ideologischen Erziehung der Nationalsozialist*innen. Diese Auswüchse konnten nach 1945 relativ schnell geändert werden. Problematisch blieb der Einsatz nationalsozialistisch geprägter Lehrer*innen und der Teil der Erziehung, der im Privaten stattfand und bei dem der Einfluss des nationalsozialistischen Regimes deutlich subtiler vonstattenging. Diese weiteren Elemente sollten sich über Generationen halten. Denn noch lange nach Ende des Zweiten Weltkriegs praktizierte man Methoden aus NS-Erziehungsratgebern. Besonders die Methoden und Ansichten der Ärztin Johanna Haarer (1900 – 1988), die mit ihrem Buch Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind wie keine andere die Erziehungsideologie im nationalsozialistischen Deutschland prägte, werden zum Teil noch immer hochgehalten.
Inzwischen sind sich nur noch wenige Menschen der Ursprünge von Erziehungsmethoden wie dem Schreienlassen von Kleinkindern oder Ansichten wie der, man könne bereits Babys verwöhnen, bewusst. Bei vielen Menschen ist vielmehr noch immer eine gewisse Härte gegenüber Kindern Gang und Gäbe – was auf die Erziehungsideologie der NS-Zeit zurückgeführt werden kann, die bis heute fortwirkt. Erst allmählich etablieren sich Erziehungsmethoden wie die Bindungsorientierte Erziehung, die auf die kindliche Entwicklung und auf die kindlichen Bedürfnisse abgestimmt ist, in breiteren Kreisen der Gesellschaft. Dabei wurden derartige liebevolle und zugewandte Erziehungsmethoden bereits in den 1960ern publik gemacht.
Die Pädagogik des Nationalsozialismus war auf Härte ausgerichtet. Und die Angst vor dem verwöhnten Kind wie vor dem Kontrollverlust der Erwachsenen hat sich hartnäckig gehalten. Verhaltensmuster und Erfahrungen werden von Generation zu Generation weitergegeben – im schlimmsten Fall als transgenerationales Trauma. Daher ist es umso wichtiger Sätze wie „Das hat mir auch nicht geschadet“ zu hinterfragen, wenn es um Disziplinierungsmaßnahmen als Erziehungsmethode geht. Denn Liebesentzug und Gewalt – sei sie physischer oder verbaler Natur – können zu Bindungsproblemen, fehlendem Zugang zu den eigenen Gefühlen und Erkrankungen wie Depression und Alkoholismus führen.
Zudem gilt es festzuhalten, dass die von Haarer propagierten Erziehungsmethoden auch zu ihrer Zeit nicht ganz neu waren. Es ist also höchste Zeit, eine Form der Erziehung, die zunächst monarchietreue Untertan*innen und später nationalsozialistische gesinnte Mitläufer*innen hervorbringen sollte, kritisch zu hinterfragen und Alternativen aufzuzeigen, zu prüfen und gegebenenfalls zu etablieren.
Kann Erziehung unideologisch sein?
Dabei stellt sich nicht zuletzt die Frage, ob eine unideologische Erziehung möglich ist. Wenn man davon ausgeht, dass Wissen und Bedeutung immer gesellschaftlich konstruiert sind, liegt die Annahme nahe, dass Wissen und Bedeutung auch immer ideologisch sind, ebenso wie die Texte, Prozesse und die sozialen Transaktionen, durch die sie übermittelt werden.
Und wenn Bildung von Natur aus die Vermittlung von Wissen, Werten und Perspektiven beinhaltet, ist eine komplett ideologiefreie Erziehung unmöglich. Es können jedoch Anstrengungen unternommen werden, um ideologische Voreingenommenheit zu minimieren und ein ausgewogeneres Bildungsumfeld zu fördern. Dazu gehört die Ermutigung zu kritischem Denken, Informationen über eine Vielfalt von Perspektiven sowie die Vermittlung unterschiedlicher Theorien. Zudem sollten ideologische von sachlichen Inhalten getrennt und klar zwischen Meinung und Fakten unterschieden werden. Des Weiteren ist es wichtig, dass Bildungssysteme und Erziehungsmethoden immer wieder geprüft, bewertet und verbessert werden.
Quellen
https://www.swr.de/swr2/wissen/dann-liebe-mutter-werde-hart-wie-ns-ratgeber-die-erziehung-bis-heute-praegen-swr2-wissen-2022-10-13-100.html (Zugriff am 23.10.2023)
https://www.spektrum.de/news/paedagogik-hitlers-einfluss-auf-die-kindererziehung/1555862 (Zugriff am 26.10.2023)
https://www.pbs.org/education/blog/rethinking-how-we-teach (Zugriff am 26.10.2023)
Simmie, Geraldine Mooney und Edling, Silvia: Ideological governing forms in education and teacher education. In: NordSTEP, 2016. https://www.tandfonline.com/doi/full/10.3402/nstep.v2.32041 (Zugriff am 26.10.2023)
Oberheid, Robert (2007): Emil O. Forrer und die Anfänge der Hethitologie. Eine wissenschaftshistorische Biografie. Berlin/New York.