Krieg bewegt die Gemüter, wühlt auf, weckt Wut, Trauer, Angst, Hass – auch bei denen, die nicht direkt an ihm beteiligt sind. Krieg lässt keinen kalt. Wie wir über das Unsägliche reden, mit welchen Worten wir der brachialen Gewalt des Krieges und den Geschehnissen im Hintergrund Ausdruck verleihen, sagt dabei nicht nur etwas über den Krieg aus. Es prägt umgekehrt auch unsere Wahrnehmung der Ereignisse. Doch wie genau bedienen wir uns der Sprache, wenn es um Krieg geht? Und welche Auswirkungen hat die Art, wie wir über den Krieg reden, auf unser Verständnis des Geschehens?
Wie die Sprache das Denken beeinflusst
Bestimmt unsere Art, zu denken, unsere Sprache? Oder beeinflusst die Art, wie wir sprechen, unsere Denkweise? Seit Jahrhunderten beschäftigen sich Philosoph*innen, seit Jahrzehnten Psycholog*innen, Linguist*innen und Neurowissenschaftler*innen mit dieser Frage. Und jede*r hatte und hat seine*ihre eigenen Ansichten dazu.
Glaubte man über Jahrhunderte, dass Wörter ausschließlich Bezeichnungen für Objekte und Konzepte sind und dass unterschiedliche Sprachen den Dingen bzw. Konzepten schlicht verschiedene Lautfolgen zuordnen, kamen Edward Sapir (1884 -1939) und andere Linguist*innen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu der Überzeugung, dass die Welt vor allem in Abhängigkeit von der eigenen Sprache wahrgenommen werde und das genutzte Sprachsystem damit Einfluss auf das Denken der Sprecher*innen habe. Man kam sozusagen von einem Extrem zu einem anderen.
Ein populärer Weg, die Behauptungen Sapirs zu prüfen, setzt den Fokus auf die Farbwahrnehmung. Tatsächlich sind Farben kontinuierlich verteilt, aber wir nehmen sie kategorisch wahr. Zudem variiert die Zahl der Farbbegriffe von Sprache zu Sprache. So gibt es in der in Neuguinea gesprochenen Sprache Dani lediglich die beiden Farbkategorien mili für kalte und mola für warme Farben. Dennoch können Menschen, die ausschließlich Dani sprechen, grundsätzlich auch verschiedene Farbtöne unterscheiden, die von ihnen identisch benannt werden. Allerdings stellte sich heraus, dass sie besser zwischen zwei Farbtönen unterscheiden können, die unterschiedlich benannt sind.
Es ist demnach nicht so, dass die Sprache unser Denken derart beeinflusst, dass sie uns blind macht für die Dinge, für die wir keine Ausdrücke haben. Doch geht Sprache durchaus über die bloße Benennung von Gegenständen und Konzepten hinaus. Man könnte sagen, es besteht eine Art Wechselwirkung zwischen Sprache und Wahrnehmung.
Alles deutet darauf hin, dass es eine Art universeller Grundlage für die Wahrnehmung und das Denken aller Menschen gibt, während die Sprache wie ein Filter oder auch wie ein Verstärker oder Rahmen für unsere Wahrnehmung und unser Denken funktioniert. Die Sprache, die wir sprechen, schränkt unsere Wahrnehmung und unsere Denkfähigkeit nicht ein, doch sie sorgt für einen bestimmten Fokus. Wenn wir sprachliche Aussagen formulieren oder wenn wir sprachliche Aussagen hören und interpretieren, konzentrieren wir uns auf bestimmte Aspekte dessen, was die Aussage beschreibt. Inzwischen ermöglichen bildgebende Verfahren, derartige Effekte der Sprache auf unsere Wahrnehmung aus neurobiologischer Sicht zu untersuchen.
Dass die filternde Eigenschaft der Sprache nicht zu unterschätzen ist, zeigt sich in Kriegszeiten deutlich und wird zum Teil gezielt genutzt. Eine entscheidende Wirkung können hier bereits sprachliche Nuancen erzielen.
Sprache und Krieg: linguistische Taktiken
Es ist ein interessantes Phänomen: In unserem Alltag entnehmen wir gerne und meist wohl unbewusst Worte aus dem militärischen Bereich, um einer Sache Nachdruck zu verleihen. Da kämpfen wir bei der Arbeit an allen Fronten, stehen Gewehr bei Fuß, wenn eine dringende Angelegenheit erledigt werden soll, mit dem Kochen stehen wir auf dem Kriegsfuß und hin und wieder ziehen Schlechtwetterfronten auf. Geht es aber tatsächlich um das Thema Krieg, dann werden militärische Ausdrücke gerne einmal vermieden und stattdessen Metaphern und Euphemismen bedient. Es scheint eine historische Konstante zu sein: Gut gewählte Euphemismen und trügerische Satzstrukturen werden eingesetzt, um öffentliche Unterstützung zu gewinnen und den Weg zum Krieg zu ebnen.
Nehmen wir nur einmal das Wort „Verteidigung“. Häufig wird es zum Euphemismus für Kriegsbereitschaft und Kriegsführung. Doch es handelt sich bei diesem Wort um einen allgemein so akzeptierten Begriff, dass uns gar nicht mehr auffällt, dass er eine komplizierte Realität verschleiern kann. Dabei darf beispielsweise nicht vergessen werden, dass die heutigen Verteidigungsministerien demokratischer Staaten diesen Titel noch nicht allzu lange tragen. Das US-amerikanische Verteidigungsministerium trägt diese Bezeichnung beispielsweise erst seit 1949. Zuvor hieß das gleiche Ministerium schlicht Kriegsministerium. Doch nach dem Zweiten Weltkrieg und der Erklärung der Vereinten Nationen gegen Angriffskriege suchten die Gesetzgeber ein friedlicher klingendes Wort. Ob die Militäreinsätze der westlichen Demokratien nach dem Zweiten Weltkrieg tatsächlich immer nur der Verteidigung dienten, ist zumindest umstritten. Und mit den Verteidigungshaushalten der meisten Staaten wird viel bezahlt, das nicht unbedingt mit der Landesverteidigung zu tun hat. Militärhaushalt wäre eine passendere Bezeichnung.
Doch nicht nur die geschickte Wahl einzelner Worte kann bewusst oder unbewusst zur öffentlichen Überzeugungsarbeit beitragen. Auch die Satzstruktur spielt eine Rolle. Nicht umsonst werden vom Militär, von Politiker*innen und Medien bei der Berichterstattung zum Krieg häufig Passivkonstruktionen eingesetzt: „Ein Luftangriff wurde durchgeführt.“ Das Passiv ist ein sprachliches Mittel, um die von einer Aktion betroffenen Opfer zu betonen und nicht die Täter*innen. Damit wird zugleich die Wahrscheinlichkeit für Fragen nach dem Wie und Warum verringert. Auf die Möglichkeiten, die Passivkonstruktionen bieten, wies bereits George Orwell in seinem Essay „Politics and the English Language“ hin.
„Wenn der Krieg kommt, ist das erste Opfer die Wahrheit“, soll einst US-Politiker Hiram Johnson (1866 – 1945) gesagt haben. Kriegführende Parteien sind stets um die Akzeptanz der Bevölkerung bemüht. Nicht zuletzt aus diesem Grund wurde in Deutschland der Afghanistankrieg lange als Friedensmission betitelt. Wie fließend der Übergang von derartigen Euphemismen hin zur Propaganda und zum Opfern der Wahrheit ist, zeigt aktuell Putins Bezeichnung des Ukrainekriegs als „militärische Spezialoperation“. Putin verschleiert zum einen mit dem Begriff „Spezialoperation“ Leid, Gewalt und Brutalität und lässt den Angriff „sauber“, gezielt, kontrolliert und zeitlich begrenzt wirken. Begriffe wie „Überfall“, „Angriff“ oder „Invasion“ wurden von der Russischen Medienaufsichtsbehörde Roskomnadsor verboten; Medien, die sich weigerten, entsprechende Beiträge zu entfernen, wurden blockiert. Die Wortwahl ist damit zum entscheidenden Teil der Propaganda, der bewusst gestreuten Desinformationen geworden. Eine manipulative Sprache wird staatlicherseits forciert, um Akzeptanz zu erreichen und Feindbilder heraufzubeschwören.
Von Superlativen und Schwarz-Weiß-Malerei
Doch nicht nur sprachliche Verschleierungen gehören zur linguistischen Kriegstaktik. Auch drastische Formulierungen mit Superlativen und moralischen Abwertungen gehören dazu. Bleiben wir beim Kriegsgeschehen in der Ukraine, ist ein präsentes Beispiel Putins Rechtfertigungsversuch des Angriffs auf die Ukraine mit der Begründung, dass das Land „entnazifiziert“ werden müsse. Putin verbreitet die Mär eines Genozids, den Russland unterbinden muss, und stellt sich damit als moralisch überlegen und auf der Seite des Rechts dar. Außerhalb Russlands hingegen wurde Putin mittlerweile zum personifizierten Bösen. Robert Habeck betitelte Putin beispielsweise als Vergewaltiger der Ukraine und sprach ihm damit auf plakative Weise jedwede Moral ab. Dafür wird ein ganz anderes Heldenbild stilisiert. Wolodymyr Selenskyj wurde vom Spiegel bereits als „Verteidiger der freien Welt“ bezeichnet. Erst das Narrativ über den Volksvertreter lässt den Kämpfer, den Verteidiger zum Helden aufsteigen. Und Selenskyj weiß dieses Narrativ zu nutzen, um für Unterstützung zu werben – mit jedem Recht der Welt. Denn wer überfallen wird, darf und muss alle Möglichkeiten ausschöpfen.
Doch auch hierin zeigt sich die besondere Rolle der Sprache in der Steuerung der Wahrnehmung des Krieges: Wer wann wie bezeichnet wird, ist von großer Bedeutung. Bereits kleine sprachliche Nuancen können das öffentliche Bild stark verändern. In der Regel zeigt sich dabei eine Schwarz-Weiß-Malerei: Mit Hilfe der Wortwahl werden zwei Seiten geschieden, die als gut und böse markiert werden.
Fazit: Krieg und Sprache
Die Darstellung des Krieges in der Sprache sollte hinterfragt und reflektiert werden, denn eine Beschönigung des Krieges ist überflüssig bis gefährlich. Euphemismen und Metaphern können eine starke Waffe sein. Doch die richtigen Worte für den Krieg mit all seinen Grausamkeiten zu finden, ist schwer. Besonders, wenn auf der einen Seite die Gräuel des Krieges, die Wut auf die Kriegstreibenden und die Schicksale, die mit dem Krieg verbunden sind, nicht unterschlagen werden sollen und auf der anderen Seite der Weg offen bleiben muss für pragmatische Lösungen und politische Verhandlungen. Denn moralische Abwertungen und emotional aufgeladene Metaphern können spätestens dann problematisch werden, wenn versucht werden soll, politische Lösungen zu finden.
Quellen:
https://www.sueddeutsche.de/kultur/krieg-in-der-ukraine-sprache-linguistin-1.5542769
https://www.swr.de/swr2/leben-und-gesellschaft/bundeswehr-in-afghanistan-friedensmission-oder-krieg-100.html
https://www.orwellfoundation.com/the-orwell-foundation/orwell/essays-and-other-works/politics-and-the-english-language/
https://www.spiegel.de/ausland/wolodymyr-selenskyj-der-verteidiger-der-freien-welt-a-dd3e3459-e340-4779-b382-bdb8397a291b