In Zeiten des Wahlkampfs hat politische Kommunikation Hochkonjunktur. Themen werden symbolisch aufgeladen und sprachlich akzentuiert. Parteien und Politiker*innen versuchen, sich mittels Sprache ein Profil zu geben. Doch wie groß ist das Potential einer ausgefeilten politischen Sprache für einen Wahlerfolg? Kann der bewusste Einsatz von Sprache gar den Ausgang von Wahlen entscheiden?
Sprache in der Politik – zwischen Umgangs-, Fach- und Werbesprache
Die politische Sprache ist als Objekt der Sprachwissenschaft schwer zu greifen, denn sie ist kein einheitliches Phänomen. Auf der einen Seite gehört politische Sprache zur Standardsprache und zeigt viele Überschneidungen mit der Umgangssprache. Gleichzeitig weist sie Merkmale einer Fachsprache auf. In der politischen Sprache finden sich ferner Merkmale der Verwaltungs- und der Rechtssprache. Zunehmend finden sich außerdem Elemente aus Naturwissenschaften, Ökologie, Ökonomie und Technik.
Auffällig ist darüber hinaus die enge Verwandtschaft zur Werbesprache. Politische Sprache wird gerne symbolisch aufgeladen, manchmal überladen und politische Schlagworte gleichen nicht selten geschickten Werbeslogans – man denke nur an Barack Obamas „Yes, we can!“ Eine weitere Gemeinsamkeit mit der Werbesprache besteht darin, dass Reden von Politiker*innen überall auf der Welt Komponenten der Sprachmanipulation enthalten.
„Auf leisen Sohlen ins Gehirn“ – die Macht der Metaphern
Doch kann man mittels Sprache tatsächlich Meinungen in bestimmte Richtungen lenken? Um dieses Ziel zu erreichen, setzen Politiker*innen bzw. die Verfasser*innen ihrer Reden unterschiedlichste Mittel ein. Dies können ganz schlichte sprachliche Kniffe sein. Wer kennt nicht die verbindliche Wirkung eines wohlplatzierten ‚Wir‘? Ein ‚Wir‘ stellt ein Gemeinschaftsgefühl her, eine Verbundenheit zwischen Redner*in und Publikum. Auch der Dialekt ist ein beliebtes Stilmittel bei Politiker*innen: Reden sie Dialekt, wirken sie auf viele Menschen besonders volksnah und zugänglich.
Eine besonders subtile Wirkung im Sinne der Sprachmanipulation wird von Sprachwissenschaftler*innen jedoch den Metaphern zugeschrieben. Der US-amerikanische Linguist George Lakoff ist sogar davon überzeugt, dass man mit dem Einsatz der richtigen Metaphern Wahlen gewinnen kann. „Auf leisen Sohlen“ sollen sich die sprachlichen Verbildlichungen Lakoff zu Folge ins Gehirn schleichen. Metaphern sind dabei weitaus mehr als hübsche rhetorische Figuren. Denn Metaphern lassen uns Dinge wie durch eine Brille betrachten: Einer Metapher fehlt das Unverbindliche eines Vergleichs. Die Aussage, der Staat sei wie ein Schiff unterscheidet sich deutlich von der Metapher des Staatsschiffs. Die Metapher schafft Fakten. Vergleiche haben Grenzen. Eine Metapher hingegen verschleiert die Disanalogien zwischen Bildspender und Bildempfänger. Damit hat sie eine wahrnehmungsfilternde und unter Umständen sogar -lenkende Wirkung.
George Lakoff führt diesbezüglich aus, dass Barack Obama in seinem ersten Wahlkampf sehr erfolgreich damit war, den Staat als fürsorgliche Familie darzustellen. Unter Zuhilfenahme dieser Metapher rechtfertigte er seine angestrebte Gesundheitsreform mit der Krankenversicherung für alle: In einer Familie kümmert sich jede*r um jede*n – alles andere wäre verwerflich. Später verlegte sich Obama auf Zahlen und Fakten, während die Republikanische Partei sich vermehrt auf die Macht der Metaphern verließ. Mit bildreichen Wortschöpfungen wie „Todes-Kommission“ machte sie die Reform nieder und die Zustimmung der Bevölkerung zu den Neuerungen in der Gesundheitspolitik sank.
Ob und inwieweit dieser Umschwung in der Stimmung der Menschen den Metaphern zuzuschreiben ist, ist jedoch keineswegs eindeutig geklärt. Die zum Teil sehr gewagten Thesen Lakoffs sind unter Sprachforscher*innen umstritten.
Wie weit reicht die Kraft der politischen Sprache?
„Wenn das Denken die Sprache korrumpiert, korrumpiert die Sprache auch das Denken“, heißt es in George Orwells Roman 1984. Die Mehrheit der Sprachforscher*innen betrachtet das Verhältnis von Sprache, Denken und Wirklichkeit jedoch differenzierter. Der israelische Sprachwissenschaftler Guy Deutscher etwa ist davon überzeugt, dass die Sprache „kein Gefängnis für das Denken“ ist. Unbestritten ist jedoch, dass sie die Aufmerksamkeit für bestimmte Dinge trainieren und unser Denken in Bahnen lenken, grundsätzlich also unsere Wahrnehmung beeinflussen kann.
Entsprechend herrscht auch Einigkeit darüber, dass Metaphern Meinungen beeinflussen können. Dies lässt sich schon daran ablesen, wie Politiker*innen mittels Metaphern ihre Wert- und Moralvorstellungen im Sinne der persuasiven Funktion politischer Sprache nach Girnth unters Volk bringen. Genutzt werden hier sogenannte Frames.
Exkurs: Politische Sprache und ihre Funktionen
„Sprache ist nicht nur irgendein Instrument der Politik, sondern überhaupt erst die Bedingung ihrer Möglichkeiten“. Dieser gern zitierte Satz geht auf den Sprachwissenschaftler Heiko Girnth zurück. Nach Girnth bedeutet Sprache in der Politik vor allem sprachliches Handeln. Girnth ist es auch, der vier grundlegende Funktionen der politischen Sprache unterschieden und definiert hat:
1. Die informativ-persuasive Funktion: Die Persuasion erfolgt in der politischen Sprache durch Expressivität und die Bemühungen komplexe Sachverhalte verständlich zu machen und sie zugleich subtil zu bewerten, um das Gegenüber von der eigenen Position zu überzeugen. Mittels Sprache wird eine Deutungshoheit hergestellt und sie wird zum Instrument der Macht. Dabei ist zu betonen, dass es sich hierbei um einen wechselseitigen Prozess handelt. Diese Funktion der politischen Sprache wird vor allem in Debattenreden, Wahlslogans und in Interviews sichtbar. Kurz: Politische Sprache soll Meinungen beeinflussen.
2. Die integrative Funktion: Ziel dieser Funktion ist es, ein Gemeinschaftsgefühl herzustellen. Zu diesem Zweck werden öffentlich kollektive Einstellungen bekundet und ein gemeinsamer Wertekanon betont. Gedenkreden und Parteiprogramme sind Zeugnisse der integrativen Funktion.
3. Die regulative Funktion: Die regulative Funktion könnte auch als eine Kommunikation von oben nach unten bezeichnet werden. Sie dient der Regelung der Beziehungen zwischen Regierenden und Bürger*innen und nimmt in Form von Gesetzen, Erlassen und Programmen Gestalt an.
4. Die poskative Funktion: Petitionen und Manifeste sind Beispiele für politische Sprache mit poskativer Funktion. Hier werden Forderungen und Wünsche formuliert. Es ist eine Kommunikation von unten nach oben.
Girnth stellt neben den vier Grundfunktionen noch eine weitere Funktion politischer Sprache dar: die imagebildende Funktion. Diese dient der Selbstdarstellung und der Profilierung von Politker*innen. Aktuell sind vor allem die Sozialen Medien ein Tummelplatz für Beispiele der imagebildenden Funktion.
Politisches Framing
In den letzten Jahren oft gehörte Schlagworte im Rahmen politischer Diskussionen sind die Begriffe Flüchtlingswelle und Flüchtlingsstrom. Hier werden Menschen zu einer Naturgewalt verbildlicht, die über andere hineinbricht. Das hat nicht unbedingt etwas mit der Realität zu tun, lässt aber auf eine bestimmte politische Agenda schließen. Es liegt ein Framing ganz im Sinne Lakoffs vor. Frames sind nach Lakoff mentale Strukturen, die durch Wörter im Bewusstsein hervorgerufen werden können. Mit dem Begriff des Framings ist damit ein Assoziations- und Deutungsrahmen für Begriffe gemeint. Anders ausgedrückt: Wer das Wort Kirsche hört, denkt rot oder süß direkt mit. Wer nun eine Metapher wie Flüchtlingsstrom vernimmt, fürchtet, überrollt zu werden. Frames, die in der Politik genutzt werden, stellen zudem ein vermeintliches Problem nicht nur da, sie bieten zugleich implizit eine Lösung.
Wer an eine Welle denkt oder an einen Strom, für den liegt der Bau eines Schutzwalls nahe. Ganz anders ist der Effekt, wenn von einer Migrationsbewegung“die Rede ist. Dieser Begriff klingt eher nach etwas, um das man sich keine Sorgen machen muss. Noch entspannter wird die Lage, wenn anschauliche und relativierende Vergleiche genutzt werden wie: „Wenn 42 Leute in einer Kneipe sind, dann lässt man den 43. nicht draußen im Regen stehen.“
Können Worte Wahlen gewinnen?
Doch was ist nun eigentlich wirklich für Wähler*innen ausschlaggebend bei ihrer Entscheidung für oder gegen eine Partei? Können die richtigen Metaphern ausschlaggebend für einen Wahlerfolg sein?
Für die meisten Wähler*innen spielt vor allem ihre persönliche Einschätzung politischer Kandidat*innen eine Rolle. Politiker*innen müssen authentisch wirken und ihre Sprache muss der Wertehaltung der Wähler*innen entsprechen. Wer die eigenen Werte deutlich formuliert und immer wieder betont, sammelt dementsprechend Pluspunkte bei seiner Zielgruppe. Das hat sich etwa im Wahlkampf zwischen Donald Trump und Hillary Clinton gezeigt. Auch wenn Hillary Clinton in vielen Bereichen die besseren Argumente und die Faktenlage auf ihrer Seite hatte, konnte Trump mehr Stimmen erlangen als viele erwartet hatten. Immer und immer wieder hat er seine strengen und erzkonservativen Werte wie Wettbewerb, Disziplin und Eigeninteresse eindrücklich betont. Er hat sich als starke Autoritätsperson inszeniert, die das Land gegen alle vermeintlichen Feinde schützt und damit überraschend viele Wähler*innen aus allen gesellschaftlichen Schichten angesprochen.
Ein solcher Wahlsieg ist darüber hinaus möglich, weil es für Parteien vor allem darum geht, Menschen aus der politischen Mitte zu überzeugen, da diese sich sowohl von eher konservativen als auch von eher progressiven Werten angesprochen fühlen können. Dies kam zum Beispiel Angela Merkel stets sehr entgegen: Sie steht zum einen für eine eher strenge, konservative Ideologie. In diesem Sinne verwendet sie Formulierungen wie Regulierung und Steuerbürde. Zugleich steht sie für eine Fürsorglichkeit, wie sie vor allem bei progressiveren Denker*innen gerne gesehen ist. Mit der fürsorglichen Komponente und ihrem Wir schaffen das zur Zeit der Flüchtlingskrise punktete sie so zum Beispiel bei Menschen aus der politischen Mitte mit Tendenz zu eher progressiven Werten. Das allein würde vielleicht nicht ausreichen, wenn viele Wähler*innen sie nicht auch als authentisch empfänden.
Konkret bedeutet das, dass Politiker*innen gut beraten sind, ihre Werte immer wieder zu betonen und deutlich zu machen. Eindrückliche Metaphern, geschickt eingesetzt, können ein Zünglein an der Waage werden und Wechselwähler*innen überzeugen. Wer jedoch wie ein Fähnchen im Wind agiert um auf allen Seiten Wähler*innen zu gewinnen, verliert an Glaubwürdigkeit. Da können auch die schönsten Metaphern nur bedingt wirken.
Quellen:
Diehn, Ernst Timur: „Wer die Sprache beherrscht, gewinnt auch Wahlen“. In: Merton. Onlinemagazin des Stifterverbandes. 2017. Online verfügbar unter: https://merton-magazin.de/wer-die-sprache-beherrscht-gewinnt-auch-wahlen
Girnth, Heiko: Einstieg: Sprache und Politik. 2010. Online verfügbar unter: https://www.bpb.de/politik/grundfragen/sprache-und-politik/42678/einstieg
Grimm, Hannelore; Engelkamp, Johannes: Sprachpsychologie. Handbuch und Lexikon der Psycholinguistik. Erich-Schmidt-Verlag, 1981.
Kara, Stefanie; Wüstenhagen, Claudia: „Die Macht der Worte“. In: Die ZEIT. 2012. Online verfügbar unter: https://www.zeit.de/zeit-wissen/2012/06/Sprache-Worte-Wahrnehmung
Lakoff, George; Johnson, Mark: Leben in Metaphern. Konstruktion und Gebrauch von Sprachbildern. Carl-Auer-Verlag, 2018.
Lakoff, George: Wehling, Elisabeth: Auf leisen Sohlen ins Gehirn. Politische Sprache und ihre heimliche Macht. Carl-Auer-Verlag, 2016.
Orwell, George: 1984. Ullstein-Verlag. [orig. 1949].