Laut einer Untersuchung der Bertelsmann-Stiftung aus dem Jahr 2016 nehmen 14 Prozent der Schüler*innen zwischen sechs und 16 Jahren in Deutschland Nachhilfe. Die für den Nachhilfeunterricht eingesetzten Finanzmittel belaufen sich laut der Studie auf 879 Millionen Euro pro Jahr. All diese Zahlen stammen wohlgemerkt aus einer Zeit deutlich vor der Covid-Pandemie, in der der Bedarf noch einmal deutlich gestiegen sein dürfte. Insgesamt zeigt das eine enorme wirtschaftliche sowie bildungstechnische Bedeutung der Nachhilfe. Gestillt wird der Bedarf durch einen weitgehend heterogenen Markt, auf dem sich unterschiedlichste Anbieter*innen tummeln – von Schüler*innen höherer Klassenstufen über Studierende und pensionierte Lehrer*innen bis hin zu professionellen Nachhilfeinstituten. Auch das Setting der Nachhilfe differiert teilweise erheblich: Einzelunterricht ist genauso üblich wie Tandem- und Gruppenangebote. Doch vor welchen Herausforderungen stehen Nachhilfelehrer*innen und gibt es eine spezielle Nachhilfedidaktik?
Aufgaben und Grenzen der Nachhilfe
Vor der Beantwortung spezifischer Fragen zur Nachhilfe steht notwendig eine Definition des zentralen Begriffs. Insbesondere aufgrund der beschriebenen Heterogenität des als Nachhilfe beschriebenen Feldes scheint das dringend geboten. Dieter Dohmen, Annegret Erbes, Kathrin Fuchs und Juliane Günzel haben im Jahr 2008 im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung eine Untersuchung vorgelegt, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, Angebot, Nachfrage und Wirkungen der Nachhilfe systematisch zu überblicken. Auch sie haben in diesem Zusammenhang einen Definitionsversuch unternommen. Zu diesem Zwecke haben sie sich bisher gegebene Definitionen vorgenommen und nach den Spezifika, die immer wieder genannt werden, gesucht. Als heuristische Definition haben sie dabei Folgendes festgehalten: „Nachhilfe zielt auf die Verbesserung der schulischen Leistung, findet außerhalb und ergänzend zum Unterricht, meist regelmäßig und vorübergehend statt und wird privat bezahlt [Fettierung im Original, A.S.]“ (S. 17).
Auffallend sind dabei aus pädagogischer Perspektive gleich mehrere Aspekte. Zunächst machen Dohmen et al. darauf aufmerksam, dass das Ziel der Nachhilfe explizit in der Verbesserung der in der Schule gezeigten Leistungen besteht. Eine reine Leistungssicherung erfüllt demnach ebenso wie ein unabhängig vom Leistungsdenken erfolgender Zusatzunterricht nicht die Definition von Nachhilfe. Interessant ist darüber hinaus der „meist regelmäßig[e]“ (S. 17) sowie „vorübergehend[e]“ (S. 17) Charakter der Nachhilfe. Es handelt sich folglich um einen außerschulischen Ergänzungsunterricht, der zwar regelmäßig, aber zeitlich begrenzt stattfindet und das Ziel der Leistungssteigerung in der Schule verfolgt. Er ist damit – anders als der Schulunterricht – nicht direkt kompetenz- oder wissensorientiert. Sein Erfolg wird damit nicht anhand eines diesbezüglichen Zuwachses, sondern rein durch eine von ihrem Gegenstand unabhängige Leistung gemessen. Eine Abgrenzung vom Schulunterricht ist damit auch abseits der Definition als explizit außerschulisch leicht möglich.
Darüber hinaus lässt Nachhilfe sich – wird die vorgeschlagene Definition angelegt – leicht etwa von Lerntherapie unterscheiden. Diese zielt nicht direkt auf Leistungsverbesserung im schulischen Kontext und versteht sich nicht als „ergänzend zum Unterricht“ (S. 17). Stattdessen werden hier grundsätzliche Lernprobleme bearbeitet, die zwar durchaus Auswirkungen auf den Erfolg in der Schule haben; die Zielorientierung sowie die Anbindung an den Schulkontext unterscheiden sich jedoch erheblich von der in diesem Sinne deutlich stärker als instrumentell zu verstehenden Nachhilfe. Aufgezeigt sind damit insgesamt sowohl spezifische Aufgaben als auch Grenzen der Nachhilfe.
Pädagogische Möglichkeiten in der Nachhilfe
Zentrales Merkmal der Nachhilfe ist – in Abhängigkeit von der konkreten Umsetzung – die sog. „individuelle[] Bezugsnormorientierung“ (S. 71): In der Nachhilfe rücken die individuellen Lernfortschritte und -schwierigkeiten der einzelnen Schüler*innen in den Fokus des Unterrichts. Auch im schulischen Kontext stellt das – wird etwa der konstruktivistischen Lerntheorie gefolgt – ein Ziel dar, das in der Praxis jedoch bereits aufgrund ungünstiger Betreuungsrelationen kaum zu erreichen ist. Findet der Nachhilfeunterricht im Eins-zu-Eins-Setting oder in einer Kleingruppe statt, was die Regel ist, so bietet sich hier viel eher die Möglichkeit, den Unterricht stark an den individuellen Bedürfnissen zu orientieren. Hieraus ergeben sich zahlreiche für das Lernen positive Effekte. Empirisch gut belegt ist etwa, dass die Lernmotivation deutlich steigt, wenn eine individuelle Bezugsnormorientierung gegeben ist.
Damit sind zahlreiche weitere Aspekte verbunden, die den Lernerfolg positiv beeinflussen können. Zu nennen ist hier etwa die Möglichkeit einer Lernstandsdiagnostik, die in der Schule – wiederum aufgrund der Betreuungsrelationen – in der Regel nicht gegeben ist. Vorkenntnisse, Kompetenzen und Wissenslücken können im engeren Betreuungsverhältnis der Nachhilfe leichter individuell ermittelt werden. Das wiederum erleichtert eine zielgerichtete Unterrichtsplanung erheblich. Darüber hinaus besteht hier – da in der Regel keine oder kaum weitere Schüler*innen mit ihren jeweiligen Bedürfnissen beachtet werden müssen – die Möglichkeit, den Unterricht stärker selbst zu steuern. Die Nachhilfeschüler*innen können ihre eigenen Interessen stärker als im Klassenverband einbringen und auch ihre präferierten Lernmethoden stärker durchsetzen. Das wiederum trägt zur Zielorientierung wie zur Motivation des Unterrichts erheblich bei.
Ein weiterer Aspekt, der nicht vernachlässigt werden sollte, besteht in der zusätzlichen Lernzeit, die die Nachhilfe bietet. Zahlreiche Studien konnten zeigen, dass die Zeit, die mit dem Üben einer bestimmten Kompetenz verbracht wird, positiv mit der tatsächlichen Beherrschung ebendieser korreliert. Soll heißen: Je mehr wir üben, desto besser werden wir. Natürlich setzt das jedoch voraus, dass die mit der Tätigkeit verbrachte Zeit tatsächlich eine echte Übungsmöglichkeit bietet. Das wiederum leitet über zu einem Grundproblem der Nachhilfe: Welche Qualifikationen bringen Nachhilfelehrer*innen mit und inwiefern erfolgt tatsächlich eine didaktisch sinnvolle Planung des Nachhilfeunterrichts?´
Didaktik und Nachhilfeunterricht
Zunächst muss hier wieder eine starke Heterogenität des Feldes konstatiert werden. Die Qualifikationen der Nachhilfelehrer*innen unterscheiden sich erheblich. Schüler*innen höherer Klassenstufen verfügen in der Regel weder über ein breites Fachwissen noch über eine didaktische Qualifikation. Bei Studierenden oder Absolvent*innen einschlägiger Studiengänge sieht das bereits anders aus. Besondere didaktische Qualifikationen bringen überdies pensionierte Lehrer*innen mit, die häufig in der Nachhilfe tätig sind.
Die pädagogische Forschung konnte zeigen, dass Professionalisierungsaspekte einen wesentlichen Faktor hinsichtlich des Erfolgs von Unterricht darstellen. Eine fundierte Ausbildung der Lehrpersonen sowohl im Fach als auch in der Didaktik wirken sich also nachgewiesenermaßen positiv auf den Lernerfolg der Schüler*innen aus. In der Nachhilfe ist das keinesfalls immer gegeben, da es sich um einen nicht regulierten Sektor handelt, in dem potentielle jede*r tätig werden darf. Die Suche nach qualifizierten Nachhilfelehrer*innen (hier mehr Informationen) ist daher von zentraler Bedeutung, sollen Zeit und Geld, die in die Nachhilfe fließen, die gewünschten Effekte zeitigen.
Herausfordernd ist in diesem Zusammenhang jedoch noch ein weiterer Aspekt: Eine spezifische Nachhilfedidaktik existiert nicht. Die Forschung zu Nachhilfe steckt noch in den Kinderschuhen – und steht eindeutig im Schatten der Schulforschung. Das führt dazu, dass eine sinnvolle didaktische Fundierung nur in Anlehnung an die Erkenntnisse der schulischen Fachdidaktiken wie der allgemeinen Didaktik erarbeitet werden kann. Zu beachten ist dabei, dass immer ein Transfer stattfinden muss: In der Schule sind Lehrer*innen mit einer heterogenen Schüler*innenschaft konfrontiert, konzipieren Unterricht für größere Gruppen und sind darum bemüht, vorgegebene Lern- und Kompetenzziele zu erreichen. Entsprechend sind didaktische Handreichungen, auf die sie zurückgreifen können, aufbereitet. Im Nachhilfesetting ist all das nicht der Fall, da hier – wie bereits herausgestellt wurde – eine deutlich individuellere Orientierung vorliegt.
Spezielle Weiterbildungen für (angehende) Nachhilfelehrer*innen sind dabei eine absolute Seltenheit. Darüber hinaus kann auch hier kaum überprüft werden, inwieweit tatsächlich eine curriculare Orientierung an gesicherten pädagogisch-psychologischen Erkenntnissen erfolgt.
Fazit: Nachhilfe als schwieriges Feld
Insgesamt lässt sich damit festhalten, dass die Nachhilfe aus pädagogisch-didaktischer Sicht ein komplexes Feld darstellt. Hier bieten sich einerseits besonders gute Bedingungen für Lernerfolg, zugleich werden diese limitiert sowohl durch das Fehlen fundierter didaktischer Forschungen zu diesem Feld als auch durch die enge Eingrenzung der Zielorientierung des Nachhilfeunterrichts.
Quellen
Dohmen, Dieter; Erbes, Annegret; Fuchs, Kathrin; Günzel, Juliane (2008): Was wissen wir über Nachhilfe?. Sachstand und Auswertung der Forschungsliteratur zu Angebot, Nachfrage und Wirkungen. Berlin. Online verfügbar unter: https://tu-dresden.de/gsw/ew/ibbd/sp/ressourcen/dateien/forschung/online-archiv/FIBS.pdf?lang=de [14.03.24].