Banduras Bobo-Puppen-Experimente und die Theorie des Lernens am Modell

Bobo-Puppen-Experiment und Lernen am Modell

In den 1960er-Jahren führte der Psychologe Albert Bandura Experimente zur Theorie des beobachtenden Lernens durch. Diese Forschungsexperimente wurden unter dem Namen Bobo Doll Experiment – Bobo-Puppen-Experimente – bekannt. 1977 schloss Bandura die Forschungen ab, die zu seiner Theorie des Lernens am Modell führten. Diese besagt, dass Kinder soziales Verhalten wie Aggression durch Beobachtung des Verhaltens einer anderen Person erlernen.

Die Vorgeschichte der Bobo-Puppen-Experimente

Vor Banduras Bobo-Puppen-Experimenten war die operante Konditionierung die vorherrschende Lerntheorie der behavioristischen Sichtweise. In den 1890er-Jahren hatte der russische Physiologe Iwan Pawlow herausgefunden, dass Hunde neues Verhalten durch klassische Konditionierung erlernen. Wenn ein einziger Reiz wiederholt mit einem bestimmten Ereignis gekoppelt wird, z. B. das Läuten einer Glocke mit der Fütterungszeit, beginnt der Speichelfluss des Hundes nach einer gewissen Zeit bereits als Reaktion auf das Geräusch. Der Behaviorist B. F. Skinner entwickelte die Pawlowsche Theorie weiter zur operanten Konditionierung. Dieser Theorie zufolge sollen Verstärkungen wie Belohnung und Bestrafung dazu führen, dass neue Verhaltensweisen erlernt werden.
Bandura betrachtete eine solche Konditionierung als reduktionistisch, da sie das menschliche Lernen als einen einfachen Prozess des Erwerbs neuer Reaktionen auf Reize versteht. Stattdessen richtete er seine Aufmerksamkeit auf das Lernen am Modell, auf das Nachahmungsverhalten von Kindern, die das Verhalten anderer beobachten und dann versuchen, es zu kopieren. In diesem Sinne führte Bandura im Jahr 1961 das erste Bobo-Puppen-Experiment durch, bei dem es um die Nachahmung aggressiven Verhaltens geht.

Banduras Hypothesen im Überblick

  • Kinder, die erwachsene Modelle bei aggressiven Handlungen beobachten, ahmen den Erwachsenen nach und zeigen ähnliche aggressive Verhaltensweisen, selbst wenn das Modell nicht mehr anwesend ist.
  • Das Verhalten dieser Kinder unterscheidet sich signifikant von Proband*innenen, die nicht-aggressive Modelle oder keine Modelle beobachteten.
  • Kinder, die das nicht-aggressive Modell beobachten, sind nicht nur weniger aggressiv als diejenigen, die die Aggression beobachteten, sondern auch signifikant weniger aggressiv als eine Kontrollgruppe von Kindern, die überhaupt keinem Modell ausgesetzt war.
  • Weil Kinder dazu neigen, sich mit Erwachsenen desselben Geschlechts zu identifizieren, wurde erwartet, dass die Proband*innen das Verhalten des gleichgeschlechtlichen Modells eher nachahmen als das Verhalten des Modells des anderen Geschlechts.
  • Da Aggression in der Gesellschaft ein eher männliches Verhalten ist, sollten Jungen vermehrt dazu tendieren, Aggression zu imitieren, vor allem diejenigen, die das männliche aggressive Modell beobachten.

Aufbau und Ablauf des Bobo-Puppen-Experiments

Das erste Bobo-Puppen-Experiment fand unter dem Namen Transmission of aggression through imitation of aggressive models an der Stanford University statt, an der Bandura zu dieser Zeit als Professor tätig war. Es wurde mit 36 Jungen und 36 Mädchen im Alter von 38 bis 69 Monaten durchgeführt. Alle Kinder besuchten die Nursery School der Stanford University. Zwei Erwachsene – ein Mann und eine Frau – übernahmen die Rolle der Modelle.

Die Kinder wurden in acht Studiengruppen mit jeweils sechs Proband*innen und eine Kontrollgruppe, bestehend aus 24 Proband*innen, eingeteilt. Die Kontrollgruppe wurde nur in der Generalisierungssituation getestet. Sie wurden zuvor keinem Modell ausgesetzt.

Die Hälfte der Kinder der Studiengruppen beobachtete zunächst die aggressiven Modelle. Diese griffen die Bobo-Puppe, ein in den 1960er-Jahren beliebten Spielzeug, das so konzipiert ist, dass es sich selbst wieder aufrichtet, wenn es umgestoßen wird, mit einem Spielzeughammer an, schlugen und traten sie und schrien sie an. Die andere Hälfte der Kinder beobachtete die Modelle, die sich der Puppe gegenüber friedlich verhielten. Diese beiden Gruppen waren wiederum weiter unterteilt in männliche und weibliche Proband*innen, von denen jeweils die eine Hälfte gleichgeschlechtliche Modelle und die andere Hälfte Modelle des anderen Geschlechts beobachteten.
In der nächsten Phase des Experiments wurden die Kinder einzeln in einen Versuchsraum geführt, in dem sie Spielsachen vorfanden. Die Kinder durften 10 Minuten mit den Sachen spielen. Dann wurde ihnen mitgeteilt, dass dies die besten Spielsachen seien und diese für andere Kinder reserviert werden und sie nicht mehr mit ihnen spielen dürften. Auf diese Weise sollten die Kinder einer Frustrationssituation ausgesetzt werden.

Anschließend wurden die Kinder für die dritte Phase des Experiments in einen weiteren Raum mit Spielsachen inklusive einer Bobo-Puppe geführt. In diesem Raum befanden sich auch Spielsachen für aggressivere Spiele, etwa ein Hammer und Dartpfeile. Nun wurde beobachtet, wie die Kinder spielten. Die Beobachtungen wurden aufgezeichnet und das Verhalten der Kinder analysiert. Es wurde darauf geachtet, wie oft und in welcher Weise die Kinder aggressives Verhalten wie zum Beispiel Schlagen, Treten oder verbale Aggressionen gegenüber der Bobo-Doll zeigten.

Die Versuchspersonen wurden bezüglich des Aggressionsgrades ihres Verhaltens auf vier fünfstufigen Bewertungsskalen vom Versuchsleiter und einer Erzieherin bewertet, die beide mit den Kindern gut vertraut waren. Diese Skalen sollten das Ausmaß bestimmen, in dem die Proband*innen körperliche Aggression, verbale Aggression, Aggression gegenüber unbelebten Objekten und Aggressionshemmung ausleben.

Die Ergebnisse der Bobo-Doll-Studie

Im Rahmen des Experiments zeigte sich, dass Kinder, die die aggressiv agierenden Erwachsenen beobachtet hatten, eher zur Nachahmung neigten. Die Kinder, die aggressives Verhalten beobachtet hatten, zeigten im Unterschied zur Kontrollgruppe und zu den Beobachtenden der nicht-aggressiven Erwachsenen auch mehr partielle und nicht-imitative Aggression, obwohl der Unterschied bei der nicht-imitativen Aggression gering war.

Die Messungen für verbal aggressives Verhalten zeigten, dass Kinder, die aggressiven gleichgeschlechtlichen Vorbildern ausgesetzt waren, dieses Verhalten mit größerer Wahrscheinlichkeit imitierten. Das Ausmaß der verbalen Aggression war in diesem Fall bei Jungen und Mädchen etwa gleich hoch.

Die Mädchen in der aggressiven Modellbedingung zeigten mehr körperlich aggressive Reaktionen, wenn das Modell männlich war. Jungen ahmten mit größerer Wahrscheinlichkeit gleichgeschlechtliche Modelle nach als Mädchen. Die Beweise dafür, dass auch Mädchen gleichgeschlechtliche Modelle imitieren, konnten nicht erbracht werden.

Grundsätzlich ließ sich feststellen, dass die Jungen im Rahmen des Experiments tendenziell mehr aggressives Verhalten zeigten als die Mädchen. Wenn alle Aggressionsfälle zusammengezählt wurden, zeigten Jungen 270 aggressive Vorfälle im Vergleich zu 128 aggressiven Vorfällen bei den Mädchen.

Die Theorie des sozial-kognitiven Lernens

Auf der Grundlage seiner experimentellen Forschung stellte Bandura seine Theorie des sozial-kognitiven Lernens (Lernen am Modell) auf, die versucht, die Auswirkungen sozialer Interaktionen auf das Lernen zu erklären. Nach Banduras Theorie lernt eine Person vor allem anhand der Beobachtung des Verhaltens der Menschen in ihrer Umgebung. In der frühen Kindheit sind dies in erster Linie die Eltern oder die erste Bezugsperson sowie Geschwister und später auch Freund*innen und Klassenkamerad*innen. Ein Kind soll zudem auch das Verhalten von fiktiven Figuren im Fernsehen und in Filmen nachahmen. Und wenn eine Person sieht, wie eine andere Person für ihr Verhalten bestraft oder belohnt wird, wird ihre Bewertung des Verhaltens weiter beeinflusst, selbst wenn ihr eigenes Verhalten nicht direkt verstärkt wurde. Hinweise auf diese beiden Thesen fand Bandura im Rahmen von Folge-Experimenten des Bobo-Doll-Experiments.

Die Bobo-Puppen-Experimente hatten damit auch Auswirkungen auf die Theorie der Medienwirkung und die Diskussion über die Rolle von Medieninhalten bei der Entwicklung von aggressivem Verhalten bei Kindern.

Kritik am Bobo-Puppen-Experiment

Das Bobo-Puppen-Experiment und sein Versuchsaufbau wurden immer wieder stark kritisiert. Und tatsächlich weist Banduras Studie mehrere Einschränkungen auf.

So wurde angemerkt, dass ein Teil des in den Versuchsergebnissen als aggressiv deklariertes Verhalten lediglich ein Spiel mit dem Spielzeug sei, wie es vorgesehen ist. Denn die Puppen sind schließlich so konstruiert, dass sie geschlagen und geschubst werden können, um sich anschließend von selbst wieder aufzurichten. Zudem handele es sich bei den Experimenten um Momentaufnahmen, die wenig über einen langfristigen Effekt bezüglich aggressiven Verhaltens aussagen.

Auch eine Selektionsverzerrung ist festzustellen. Alle Kinder, die Bandura in seinen Studien beobachtete, besuchten den Kindergarten der Stanford University. Man kann daher davon ausgehen, dass alle Teilnehmer*innen aus einem ähnlich privilegierten Umfeld stammen, was Bildung und Einkommen der Familie angeht. Daher ist es schwierig, allgemeine Schlussfolgerungen aus Banduras Ergebnissen zu ziehen, die für Personen mit anderem sozialen Hintergrund gelten.

Zudem wurde die externe Gültigkeit der Studie in Frage gestellt. Da das Alter der Teilnehmer*innen an Banduras Experimenten in einem engen Bereich lag, haben die Ergebnisse keine hohe externe Validität. Während das von ihm festgestellte Lernen am Modell bei Kindern im frühen Alter auftreten kann, kann es sein, dass die Nachahmung mit zunehmendem Alter nachlässt.

Bedeutung von Banduras Studien für die Forschung

Nichtsdestotrotz haben Banduras Bobo-Puppen-Experimente wichtige Anstöße für weitere Forschungen geliefert. So haben sie das Denken über eine behavioristische Orientierung hinausgeführt und gezeigt, dass es möglich ist, Aggression in Abwesenheit von Belohnung und Bestrafung schlicht durch Beobachtung und Nachahmung eines Modells zu erlernen. Viele Überlegungen sind seither darauf fokussiert, zu verstehen, unter welchen Umständen und von wem Aggression erlernt wird. Und Studien, die in den Jahrzehnten seit Banduras ursprünglicher Forschung durchgeführt wurden, konnten seine Beobachtungen, dass gewalttätiges Verhalten auf dem Bildschirm die Handlungen derjenigen, die es sehen, beeinflussen kann, untermauern. So gab es beispielsweise im Jahr 1984 eine Studie, die das Verhalten von Kindern untersuchte, nachdem sie gewalttätige Fernsehsendungen gesehen hatten. Die Forscher*innen fanden heraus, dass die Teilnehmer – insbesondere die männlichen – eher zu aggressivem Verhalten neigten, wenn sie ein solches Verhalten im Fernsehen sahen (Huesmann et al., 1984). Neuere Forschungen zeigen hingegen, dass Rezipient*innen durchaus über ein Fiktionalitätsbewusstsein verfügen und das beobachtete Verhalten in Filmen oder Videospielen nicht zwingend als Vorbild für ihr Alltagsverhalten nutzen. Insbesondere konnte gezeigt werden, dass die Induktion aggressiven Verhaltens durch Videospiele bei bisher nicht aggressiven Personen höchst unwahrscheinlich ist (Deutscher Bundestag, 2006).

Auf der anderen Seite gibt es auch Untersuchungen, die darauf hindeuten, dass Kinder, nachdem sie mit aggressiven Gleichaltrigen interagiert haben, nicht alle die Aggression ihrer Altersgenoss*innen imitieren und selbst aggressiv werden. Kinder, die von ihrem Temperament her zur Aggression veranlagt sind oder die bereits zuvor begonnen haben, Aggressionen zu zeigen, ahmen eher aggressive Gleichaltrige nach als Kinder, die nicht bereits eine Veranlagung von aggressivem Verhalten zeigen (Boxer et al., 2005). Außerdem ist die frühe Adoleszenz eine Entwicklungsphase, in der Kinder anfälliger sind für die Beeinflussung durch aggressive Gleichaltrige als in der frühen Kindheit oder später in der Adoleszenz (Dodge et al., 2006). Darüber hinaus können Schutzfaktoren wie unterstützende Beziehungen zu den Eltern Kinder vor Risiken abpuffern, die sich aus der Interaktion mit aggressiven Gleichaltrigen ergeben.

Zusammengenommen deuten diese Ergebnisse darauf hin, dass das Erlernen von Aggression durch Beobachtung und Modellierung kein einfacher, einheitlicher Prozess ist, sondern ein komplexer und dynamischer Prozess, der von den Merkmalen des betroffenen Kindes und dem übrigen Umweltkontext abhängt.

Einige der wichtigsten Fortschritte beim Verständnis von Aggression seit der Zeit der Bobo-Puppen-Studien lagen im Verständnis der verschiedenen Formen von Aggression. Bandura und seine Kolleg*innen unterschieden zwischen körperlicher und verbaler Aggression. In der Forschung wird seither noch immer zwischen körperlicher und verbaler Aggression sowie Beziehungsaggression, aber auch zwischen direkter Aggression und indirekter Aggression unterschieden.

Bandura selbst hat später Theorie der Selbstwirksamkeit entwickelt, die in Teilen seine Theorie des Lernens am Modell aufgreift.

Quellen:
Bandura, Albert: Sozial-kognitive Lerntheorie. Klett-Cotta, Stuttgart 1979.
Boxer, P., Guerra, N. G., Huesmann, L. R. & Morales, J.: Proximal Peer-Level Effects of a Small-Group Selected Prevention on Aggression in Elementary School Children. An Investigation of the
Peer Contagion Hypothesis. Journal of Abnormal Child Psychology, 33 (3), 2005, 325–338.
Deutscher Bundestag, wissenschaftliche Dienste: Führt die Nutzung gewalttätiger Computerspiele zu Aggressionen? Berlin. 2006. (https://www.bundestag.de/resource/blob/412164/886df268546152fbf9e2b14908d01ba2/WD-9-223-06-pdf-data.pdf (Zugriff am 25.05.2023)).
Dodge, K. A., Lansford, J. E., & Dishion, T. J.: The Problem of Deviant Peer Influences in Intervention Programs. In: K. A. Dodge, T. J. Dishion, & J. E. Lansford (Eds.), Deviant peer influences in programs for youth: Problems and solutions (pp. 3–13). The Guilford Press, 2006
Huesmann, L. R., Lagerspetz, K. and Eron, L. D. : Intervening Variables in the TV Violence-Aggression Relation: Evidence From Two Countries. Developmental Psychology, 20(5), 1984, S. 746-775
Müller, Christoph Michael; Hofmann, Verena; Studer, Felix: Lässt sich individuelles Problemverhalten durch das Niveau an Verhaltensschwierigkeiten unter den Mitschülern vorhersagen? Ergebnisse
einer Querschnittstudie und ihre Relevanz für die Frage einer integrativen vs. separativen Beschulung verhaltensauffälliger Schüler Empirische Sonderpädagogik 4 (2012) 2, S. 111-128 (über: https://www.pedocs.de/volltexte/2014/9294/pdf/ESP_2012_2_Mueller_ua_Laesst_sich_individuelles.pdf (Zugriff am 25.04.2023)).