Was ist Stress: Teil 1 der Artikelserie

Was ist Stress?

Im Alltag sprechen wir ständig von Stress. Es gilt als allgemein akzeptiert, dass die heutige Zeit eine besonders stressige und dass Stress der Auslöser vieler Krankheiten ist. Doch was ist Stress überhaupt? Diese Frage ist keineswegs trivial und eine Antwort nicht allzu schnell gefunden.

In der neuen Artikelserie Was ist Stress? wollen wir dem Stressphänomen mit Hilfe verschiedener Stresstheorien auf den Grund gehen. Am Ende soll keine apodiktische Antwort stehen, sondern vielmehr ein differenzierter Blick auf das Stressphänomen: Was genau Stress ist, kann nicht eindeutig beantwortet werden. Es gibt vielmehr sehr unterschiedliche Zugänge zum Wesen des Stresses, zu seiner Entstehung, seinem Nutzen und der Stressprävention. Wir wollen versuchen, die verschiedenen Ansätze nicht nur vorzustellen, sondern auch kritisch zu würdigen – möglicherweise ergänzen sie sich in der ein oder anderen Hinsicht und helfen uns damit allesamt beim Verstehen des Stresses, den wir empfinden und loswerden wollen.

Der vorliegende Artikel stellt nicht nur die Ankündigung der Artikelserie dar, sondern soll bereits einige wichtige Unterscheidung vornehmen, die in den nachfolgenden Teilen der Serie immer wieder aufgegriffen werden. Nachfolgend findest du daher bereits die ersten Informationen zum Stress.

Was ist Stress: Akuter und chronischer Stress

Zunächst sollte eine Differenzierung von akutem und chronischem Stress vorgenommen werden. Sprechen wir im Alltag davon, dass wir gestresst sind, beziehen wir uns damit in der Regel auf den chronischen Stress. Empfinden wir akuten Stress, kämen wir vermutlich nicht auf die Idee, darüber zu sprechen – denn akuter Stress ist eine punktuelle, sehr heftige Reaktion des Körpers, die uns für einen kurzen Moment vollkommen im Griff hat.

Zu akutem Stress kommt es den allermeisten Stresstheorien zufolge, wenn wir einer außergewöhnlichen Situation ausgesetzt sind, in der all unsere Ressourcen mobilisiert werden müssen, um eine akzeptable Bewältigung zu erreichen. Stelle dir etwa einmal vor, du führest mit relativ hoher Geschwindigkeit auf eine Ampel zu und bemerkst erst im letzten Moment, dass jemand trotz roter Ampel die Straße überquert. Vermutlich wirst du von einer Sekunde ein massives Gefühl des Wachseins verspüren, dir wird kalt werden, deine Augen werden sich weiten, dein Herz wird schneller schlagen – und du wirst schließlich beherzt auf die Bremse treten, um den Wagen rechtzeitig zum Stillstand zu bringen. Hierbei handelt es sich um akuten Stress: Dein Körper reagiert auf eine Ausnahmesituation, um dich in die Lage zu versetzen, angemessen zu handeln. Ist die brenzlige Situation gemeistert, werden die geschilderten Symptome innerhalb kürzester Zeit wieder verschwinden.

Von Stress sprechen wir umgangssprachlich erst, wenn chronischer Stress vorliegt. Hierbei handelt es sich um einen Zustand stetiger Anspannung: Der Körper bleibt im Alarmmodus, der beim akuten Stress direkt nach Abklingen der Ausnahmesituation verschwindet, haften. Meist sind die Stresssymptome dabei gegenüber dem akuten Stress deutlich abgemildert. Dennoch stellt der chronische Stress eine massive Belastung dar – wir kommen nicht mehr zur Ruhe, können uns nicht mehr entspannen und fühlen uns allgemein unwohl. Auslöser einer chronischen Stressreaktion sind in der Regel weit weniger dramatisch als solche der akuten Stressreaktion. Es handelt sich um Situationen, die uns über einen langen Zeitraum hinweg belasten, ohne eine akute Reaktion zu erfordern. Das klassischste Beispiel ist die Überforderung im Rahmen der Berufstätigkeit: Die Situation belastet uns zwar und erfordert viele Ressourcen; sie ist jedoch nicht derart akut, dass wir sofort reagieren müssten, um sie bewältigen zu können.

Chronischer Stress schadet sowohl der physischen als auch der psychischen Gesundheit. Er ist damit – anders als der akute Stress – eine Gefahr, die wir ausräumen sollten, wenn unsere Gesundheit uns wichtig ist.

Positiver und negativer Stress

Unterschieden werden müssen darüber hinaus positiver und negativer Stress. Berichtest du deinen Freund*innen davon, wie gestresst du in letzter Zeit bist, beziehst du dich mit hoher Wahrscheinlichkeit auf negativen Stress: Es handelt sich dabei um chronischen Stress, der aus Umständen resultiert, die wir gerne verändern würden. Vielleicht lädt dein Chef dir mehr Arbeit auf als du bewältigen kannst, was dich stört. Vielleicht fordert deine Chefin, dass du bis 18 Uhr im Büro anwesend bist, obwohl du ab 14 Uhr nichts mehr zu tun hast, was dich belastet.

Neben diesem negativen Stress gibt es auch den sog. positiven Stress. Er unterscheidet sich vom negativen Stress dadurch, dass er aus Umständen resultiert, die wir bewusst geschaffen haben und aufrechterhalten, da sie uns irgendeine Form der Befriedigung bieten. Obwohl auch in diesem Falle chronischer Stress vorliegt, fühlen die Betroffenen sich gut – und schaden ihrer Gesundheit nicht, da mit dem positiven Stress auch zahlreiche positive Auswirkungen auf die Psyche verbunden sind. Wer etwa aus Überzeugung neben seinem Job ehrenamtlich arbeitet und sich damit einer hohen Belastung aussetzt, wird sein Leben vermutlich als weitgehend selbstbestimmt, sein Tun als wertvoll und wirksam erleben – was spürbar zur allgemeinen Lebenszufriedenheit beiträgt.

Die Artikelserie Was ist Stress?

Nach den einleitenden Unterscheidungen, die wir benötigen werden, um uns dem Phänomen des Stresses zu nähern, werden – wie bereits angekündigt – Artikel zu unterschiedlichen Stresstheorien folgen. Doch wann genau geht es wie genau weiter?

Fight or Flight: Die neurobiologische Stresstheorie

Das Fight-or-Flight-Konzept ist die wohl älteste Stresstheorie und bildete den Anknüpfungs- und Absetzungspunkt zahlreicher weiterer Stresstheorien. Wir werden uns im nächsten Artikel dieser Theorie widmen, um von ihr ausgehend die weitere Entwicklung der Stresstheorien nachverfolgen zu können. Hier geht es zum Artikel.

Stressmodell nach Henry: Die physiologische Stresstheorie

Das Stressmodell nach Henry stellt eine Modifikation des Fight-or-Flight-Konzeptes dar, welche dieses nicht völlig verwirft, sondern in seinen Grundlagen voraussetzt. Da Henry diesem Urkonzept des Stresses noch sehr nahesteht, widmen wir den zweiten Artikel der Stresstheorie nach Henry. Hier geht es zum Artikel.

Stressmodell nach Lazarus: Die kognitive Stresstheorie

Mit Lazarus entfernen wir uns deutlich von den rein biologisch argumentierenden Stresstheorien. Hier rücken Gedanken, Bewertungen und kognitive Schemata in den Vordergrund. Hier geht es zum Artikel.

SOS-Konzept: Die selbsttheoretische Stresstheorie

Das an der Universität Bern entwickelte SOS-Konzept, das Stress als Bedrohung des Selbst auffasst, ist eines der neuesten Stresskonzepte und bietet einen ganz neuen Ansatz zum Verständnis des Stressphänomens, der bisher wenig beachtete Aspekte in den Vordergrund rückt. Hier geht es zum Artikel.