Kunsttherapie: Mit Farbe und Pinsel aus der Krise?

Kunsttherapie

Dass kreatives Schaffen uns guttut, ist lange kein Geheimnis mehr. Doch was genau passiert in einer Kunsttherapie eigentlich und wie kann sie uns helfen, Krisen zu überwinden?

Kunsttherapie als interdisziplinäres Fach

Die Kunsttherapie kann als Form der Kreativen Therapien verstanden werden. Als solche wurde und wird sie von ganz unterschiedlichen Wissenschaften beeinflusst und geprägt. Sehr offensichtlich ist der Einfluss der Bildenden Kunst, bedient die Kunsttherapie sich doch ihrer Gegenstände und Methoden. Doch auch Medizin, Psychologie, Psychotherapiewissenschaft, Pädagogik und Philosophie hatten und haben maßgeblichen Einfluss auf die Entwicklung der Kunsttherapie. Entwickelt wurde die Kunsttherapie ab der Mitte des 20. Jahrhunderts. Sie arbeitet vor allem mit den Mitteln der Bildenden Kunst und unterscheidet sich hierin von den anderen Künstlerischen Therapien, zu denen etwa die Schreibtherapie oder die Musiktherapie, aber auch Theater- oder Tanztherapie zählen. Wichtige Impulse für die Entwicklung der Kunsttherapie kamen etwa zeitgleich aus den USA und aus Europa.

Durch ihre Ansiedlung im Spannungsfeld verschiedener Wissenschaften kann die Kunsttherapie auf verschiedenste methodische Ansätze zurückgreifen und diese kombinieren, was ihre Stärke ausmacht. Aufgrund der Tatsache, dass sowohl die praktische Arbeit als auch die Theoriebildung von verschiedenen Wissenschaften beeinflusst wird, haben sich im Laufe der Zeit verschiedene Richtungen der Kunsttherapie entwickelt, die unterschiedliche Ansätze, Theorien und methodische Vorgehensweisen aufweisen, sich im Grundverständnis jedoch ähneln. In der sprachlichen Subsumierung all dieser Ansätze unter dem Begriff der „Kunsttherapie“ wird diese Pluralität innerhalb der Disziplin unterschlagen. Für die Praxis bedeutet das: Hinter dem Label der Kunsttherapie können sich ganz unterschiedliche Dinge verbergen.

Kunsttherapie bei psychischen Erkrankungen

Besonders etabliert ist die Kunsttherapie im psychiatrisch-psychosomatisch-psychotherapeutischen Bereich. Sie wird hier meist begleitend zu anderen therapeutischen Maßnahmen eingesetzt und kann von Personen in jeder Lebensphase in Anspruch genommen werden. Patient*innen, die sich in Kunsttherapie befinden, leiden meist unter psychischen Erkrankungen wie Depressionen, Angst- und Essstörungen oder posttraumatischen Belastungsstörungen. Darüber hinaus kommt die Kunsttherapie auch bei psychosomatischen Erkrankungen und im Rahmen der Verarbeitung schwerer körperlicher Erkrankungen häufig zum Einsatz. Interessant – und für viele Interessierte enttäuschend – ist, dass sie beinahe ausschließlich im stationären Setting angeboten und nur in diesem Falle von den gesetzlichen Krankenkassen bezahlt wird.

Oft fällt es Personen, die unter den genannten Erkrankungen leiden, schwer, ihr Erleben und ihre Gefühle in Worte zu fassen. Fremden Personen wie dem therapeutischen Personal oder Gruppenmitgliedern in einer Gruppensitzung gegenüber fällt es noch einmal deutlich schwerer, über die eigene Gefühlslage, oder die Unfähigkeit, diese zu beschreiben, zu reden. Die Kunsttherapie bietet eine Möglichkeit der nonverbalen Auseinandersetzung mit diesen Gefühlen, die gestalterisch zum Ausdruck gebracht werden können. Darüber hinaus arbeitet die Kunsttherapie teilweise auch aufdeckend – sie hilft Patientinnen und Patienten also nicht nur, die erlebten Gefühle im künstlerischen Schaffen auszudrücken, sondern stellt mitunter erst einen Zugang zum eigenen Gefühlsleben her.

Nicht nur für Künstler*innen geeignet

Wer diese Therapieform in Anspruch nehmen möchte, muss in keinem Falle talentiert oder gar Kunstliebhaber*in sein. Die Kunsttherapie zielt nicht darauf, ein möglichst ansprechendes Werk zu fertigen, sondern widmet sich vor allem dem Schaffensprozess eines Werks. Patient*innen können während des Malens, Zeichnens, Plastizierens usw. ihren Gefühlen freien Lauf lassen. Sie erhalten im Schaffen des Werks die Möglichkeit, ihr psychisches Erleben bewusst und/oder unbewusst uneingeschränkt auszudrücken. Künstlerische Vorgaben oder Ziele wären hier fehl am Platz, da sie dieses Nach-außen-Tragen des Inneren behindern würden. Aus diesem Grund wird anders als im Kunstunterricht keine konkrete Aufgabe gestellt. Die Patient*innen erhalten vielmehr Angebote und können etwa aus unterschiedlichsten Materialien wählen. Es kommt am Ende auch nicht darauf an, welchen ästhetischen Anspruch das Kunstwerk hat bzw. wie ‚gut‘ oder ‚schlecht‘ das Gemälde in den Augen der Patient*innen ist, da es diese Wertungskategorien erstens in der Kunst nicht gibt und da zweitens der Prozess und nicht das Resultat bedeutsam ist.

Der im Vordergrund stehende Schaffensprozess nimmt dabei teilweise eine Doppelrolle ein: Patient*innen erleben ihre Gefühle im Schaffen des Werks und bringen sie in ihm zugleich zum Ausdruck. Zudem vertiefen die Patient*innen sich in ihre Arbeit und können auf diese Weise entspannen und im Sinne eines achtsamkeitsbasierten Ansatzes eine Fokussierung auf den gegenwärtigen Moment erreichen – sie geben sich ganz dem Schaffen des Kunstwerkes und den damit verbundenen Emotionen hin.

Kunsttherapeut*innen nehmen dabei eine eher zurückhaltend-passive Rolle ein. Die Therapie stellt also einen ganz individuellen Auslebungsraum für die Patient*innen dar. Am Ende jeder Sitzung, welche einzeln oder in Gruppen stattfindet, wird das Kunstwerk in der Regel von allen anwesenden Personen reflektiert. Alle Teilnehmenden betrachten das Gemälde und lassen ihren durch dieses ausgelösten Assoziationen freien Lauf. So kann ein Kommunikationsprozess über das Werk als Mittler stattfinden. Ferner kann der Patient bzw. die Patientin wertvolle Rückschlüsse aus den Assoziationen der anderen Anwesenden ziehen.

Wo findet Kunsttherapie statt und wer arbeitet als Kunsttherapeut*in?

Die Therapiestunden finden bei qualifizierten Kunsttherapeuten und -therapeutinnen statt, die meist ein Studium an einer Universität oder einer Fach- oder Kunsthochschule absolviert haben. Viele Kunsttherapeut*innen haben auch eine Aus- oder Weiterbildung an einer privaten Einrichtung absolviert. Der Beruf des Kunsttherapeuten bzw. der Kunsttherapeutin ist in Deutschland nicht gesetzlich geregelt, sodass unterschiedlichste Zugänge möglich sind. Wer eine Kunsttherapie in einem Krankenhaus, einer psychiatrischen oder psychosomatischen Klinik oder einer Rehabilitationseinrichtung in Anspruch nimmt, kann sich jedoch darauf verlassen, dass der Therapeut bzw. die Therapeutin eine qualifizierte Ausbildung, meist ein mehrjähriges Studium, absolviert hat.

Wird eine Kunsttherapie in einer ambulanten Praxis in Anspruch genommen, sollte der Therapeut oder die Therapeutin nach seiner oder ihrer Qualifikation gefragt werden – meist findet sich auf der Internetseite oder auf dem Praxisschild bereits ein Hinweis auf die absolvierte Ausbildung. Idealerweise hat der Kunsttherapeut bzw. die Kunsttherapeutin ein Studium an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule absolviert.

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