Motivation: Selbstbestimmungstheorie nach Deci und Ryan

Selbstbestimmungstheorie nach Deci und Ryan

Motivation nimmt in unserem Alltag eine zentrale Rolle ein. Sie gilt als die Triebkraft hinter all unseren Handlungen – und ist doch nur rudimentär verstanden. Was ist Motivation? Wie entsteht sie? Wie kann sie gefördert werden? All das sind zentrale Fragen nicht nur im Kontext des organisierten Lernens, etwa in Schulen. Die Selbstbestimmungstheorie der Motivation wurde von Richard M. Ryan und Edward L. Deci auf der Basis empirischer Befunde entworfen und stellte das lange als Konsens geltende und auch heute noch verbreitete Verständnis von Motivation grundlegend infrage.

Vom Behaviorismus zur Motivationstheorie

Die behavioristische Lerntheorie galt in der Psychologie lange als umfassende Erklärung für menschliches Verhalten. Ihr zufolge ist die Psyche als Blackbox zu verstehen: Sie ist etwas, das wir weder sehen noch anfassen und damit nicht ergründen können. In wissenschaftlichen Erklärungen sollte sie – so die behavioristische Argumentation – daher keine Rolle spielen. Lernen und Motivation wurden entsprechend ohne Rückgriff auf ein menschliches Innenleben erklärt. Stattdessen wurde, auch auf Basis empirischer Studien, von Konditionierung als zentraler Erklärung ausgegangen. Demnach steigt die Motivation, ein bestimmtes Verhalten auszuführen, wenn wir für es belohnt werden. Werden wir hingegen bestraft, wenn wir ein bestimmtes Verhalten zeigen, nimmt unsere Motivation, uns entsprechend zu verhalten, ab. Lern- und Motivationseffekte können so sehr einfach erklärt werden. Auch eine Definition des Motivationsbegriffs fällt auf der Grundlage behavioristischen Denkens leicht: Motivation ist diejenige Kraft, die das Verhalten bestimmt. Behavioristischem Denken zufolge ist sie ein reiner Effekt äußerer Einwirkung. Der Mensch ist ein Reiz-Reaktions-Automat, der vollständig von außen reguliert wird. Auf einem solchen Denken basierte etwa lange der Schulunterricht. Gute Noten wurden als Belohnung für erwünschtes, schlechte als Bestrafung für unerwünschtes Verhalten eingesetzt usw.

Dieser Denkansatz galt jedoch bald als überholt: Wie konnte es sein, dass zentrale Aspekte menschlichen Lebens wie Emotion, Denken usw. keine Berücksichtigung in der Erklärung menschlichen Verhaltens fanden? Auch empirische Studien deuteten darauf hin, dass die Ausklammerung des menschlichen Innenlebens zu kurz gedacht war, da gerade dieses Innenleben das Verhalten deutlich zu beeinflussen schien. Für die Erklärung von Motivation bedeutete das einen Paradigmenwechsel: Innere Beweggründe für Verhalten rückten in den Fokus der psychologischen Forschung. In der Folge dessen wurde zwischen extrinsischer und intrinsischer Motivation unterschieden. Extrinsische Motivation ist Motivation, die von außen kommt – etwa in Form von Belohnung oder Bestrafung. Intrinsische Motivation hingegen entsteht von innen heraus – etwa aus genuinem Interesse, Spaß usw. In der Folge der behavioristischen Dominanz in der psychologischen Forschung galt die extrinsische Motivation jedoch weiterhin als Hauptfaktor hinter der Steuerung menschlichen Verhaltens. Ferner wurden extrinsische und intrinsische Motivation als unabhängig voneinander betrachtet. Motivation galt insgesamt als die Summe dieser beiden Faktoren.

Edward L. Deci und die Anfänge der Selbstbestimmungstheorie der Motivation

Auf den Kopf gestellt wurde dieses Verständnis von Motivation durch die Forschungen des Psychologen Edward L. Deci. Deci führte im Jahr 1971 eine Studie durch, im Rahmen derer er Kinder Puzzles lösen ließ. Die Kinder wurden in zwei Gruppen eingeteilt. Eine Gruppe erhielt für das Lösen der Puzzles eine Belohnung, die andere hingegen nicht. Nach dem Lösen der Puzzles wurden die Kinder alleine in einem Raum gelassen, der ihnen zahlreiche Beschäftigungsmöglichkeiten bot – unter anderem Puzzles. Der Befund der Studie war insofern interessant, als aus der Gruppe der Kinder, die keine Belohnung erhielten, signifikant mehr mit Puzzles gespielt wurde. Die Kinder, die für das Lösen der Puzzles im ersten Schritt belohnt worden waren, zeigten hingegen ein deutlich geringeres Interesse, sich nach der Belohnung weiter mit Puzzles zu beschäftigen.

Belegt war damit, dass extrinsische Motivation einen negativen Einfluss auf die intrinsische Motivation hat. Dieser Effekt wird als Korrumpierungseffekt bezeichnet. Der Befund des Korrumpierungseffekts konnte in der Folge in weiteren Studien abgesichert werden. Nicht erklärt ist durch die Studie jedoch, wie genau diese Beeinflussung abläuft: Warum verlieren wir unsere intrinsische Motivation für eine Tätigkeit, wenn wir zuvor für sie belohnt wurden?

Grundbedürfnisse und Motivation

Deci und Ryan entwickelten zur Erklärung dieses Befundes die Selbstbestimmungstheorie der Motivation. In dieser nehmen drei menschliche Grundbedürfnisse eine zentrale Rolle ein: Autonomie, Kompetenz und soziale Eingebundenheit. Autonomie bedeutet in diesem Sinne das Gefühl von Freiwilligkeit bzw. Selbstbestimmung (daher der Name der Theorie), Kompetenz das Gefühl, etwas bewirken zu können, und soziale Eingebundenheit das Gefühl, eine bedeutungsvolle Beziehung zu anderen zu haben. Sind die Grundbedürfnisse erfüllt, ist die Wahrscheinlichkeit psychischen Wohlbefindens hoch. Sind sie nicht erfüllt, ist die Wahrscheinlichkeit gering.

Deci und Ryan zufolge wird die menschliche Motivation insgesamt grundlegend durch die Grundbedürfnisse gesteuert. Werden unsere Grundbedürfnisse durch ein bestimmtes Verhalten befriedigt, so sind wir eher geneigt, dieses Verhalten an den Tag zu legen – schließlich geht es uns bei Erfüllung unserer Grundbedürfnisse gut. Damit verbunden gehen sie davon aus, dass der Mensch eine angeborene Neugierde hat und die Welt um sich herum erkunden und verstehen will.

Der Korrumpierungseffekt wird in dieser Theorie dadurch erklärt, dass eine von außen erhaltene Belohnung dazu führt, dass wir uns nicht autonom fühlen. Wissen wir, dass wir für ein bestimmtes Verhalten belohnt oder bestraft werden, sind wir extern motiviert – und fühlen uns dementsprechend in unserem Handeln fremdbestimmt. Das Gefühl von Fremdbestimmung wiederum bedeutet die Frustration des Grundbedürfnisses nach Autonomie. Ryan und Deci unterscheiden hierbei im Detail nicht nur zwischen autonom und fremdbestimmt, sondern entlang einer Skala zwischen fremdbestimmt, eher fremdbestimmt, eher autonom und autonom. Belohnung und Bestrafung als Anreiz ordnen sie der Kategorie fremdbestimmt zu.

Fehlt eine Belohnung oder Bestrafung von außen, kommt hingegen die angeborene Neugierde des Menschen zum Tragen und sorgt dafür, dass wir uns selbstständig mit unserer Umwelt auseinandersetzen. Da kein äußerer Zwangsfaktor gegeben ist, fühlen wir uns autonom – und meist auch kompetent. Die soziale Umgebung nimmt dabei als dritter Faktor eine wesentliche Rolle ein: „Umwelten, in denen wichtige Bezugspersonen Anteil nehmen, die Befriedigung psychologischer Bedürfnisse ermöglichen, Autonomiebestrebungen des Lerners unterstützen und die Erfahrung individueller Kompetenz ermöglichen, fördern die Entwicklung einer auf Selbstbestimmung beruhenden Motivation“ (Deci/Ryan, 1993; S. 236).

Ausgehend von diesen Gedanken wird intrinsische Motivation heute als bedeutender als extrinsische betrachtet. Dennoch ist vor allem das Bildungssystem nach wie vor durch extrinsische Motivationsanreize geprägt. Der Selbstbestimmungstheorie von Ryan und Deci folgend, kann das kontraproduktiv wirken. Hinzu kommt der Umstand, dass extrinsische und intrinsische Motivation als Anreize nach wie vor meist getrennt betrachtet werden und die Gesamtmotivation als bloße Summe der beiden Aspekte verstanden wird – was vor dem Hintergrund von Ryans und Decis Forschung zurückgewiesen werden muss.

Die Selbstbestimmungstheorie der Motivation und das Bildungssystem

Als klassisches Beispiel für einen extrinsischen Motivationsanreiz im Bildungssystem können Schulnoten gelten. Dass die Vergabe von Schulnoten sich negativ auf die Motivation auswirken kann, hat etwa Christa Krijgsman von der Universiteit Utrecht in einer Studie nachgewiesen. In dieser Untersuchung wurden Schüler*innen aus 31 Klassen zweimal zum Sportunterricht gebeten. Einmal erhielten sie für die in der Stunde gezeigte Leistung eine Note, einmal wurde die Leistung nicht bewertet. Die Motivation der Schüler*innen war in der unbenoteten Stunde deutlich höher: Sie waren eher bereit, sich am Unterricht zu beteiligen. In einer Befragung gaben sie an, sich im Setting der benoteten Stunde unter Druck gesetzt zu fühlen, Angst vor der Abwertung durch Mitschüler*innen sowie vor dem Versagen zu haben. Alle drei Grundbedürfnisse waren damit nicht erfüllt, was Krijgsman auf den extrinsischen Faktor der Benotung zurückführt. Erst durch diesen wurde Druck aufgebaut, der in der Folge zu einem Gefühl von Fremdbestimmung wie auch zu der sowohl den sozialen als auch den formalen Kompetenzbereich betreffenden Versagensangst angesichts der gestellten Anforderungen führte.

Auch andere Studien führten zu ähnlichen Ergebnissen. So wurde etwa gezeigt, dass Schüler*innen, die für eine bestimmte Arbeit benotet wurden, weniger Interesse daran hatten, diese Tätigkeit zuhause freiwillig fortzusetzen, als Schüler*innen, die für die gleiche Aufgabe keine Note erhalten hatten. Der Kerngedanke des Schulsystems, Notendruck führe zur Auseinandersetzung mit dem Schulstoff und damit zu nachhaltigen Lerneffekten, muss damit grundsätzlich infrage gestellt werden.

Völlig zurückzuweisen sind Schulnoten damit jedoch nicht zwingend. Johannes Visser weist in einem Beitrag etwa darauf hin, dass Schulnoten auch als Feedback wirken können. Werden sie in diesem Sinne eingesetzt und verstanden, könnten sie sich positiv auf das Gefühl von Kompetenz auswirken und die Motivation damit steigern. Ganz in diesem Sinne fasst auch Deci selbst die Forschung zusammen: Bestimmte Formen extrinsischer Motivation können durchaus positive Wirkungen haben; sie müssen dafür jedoch so ausgestaltet sein, dass sie vor allem das Gefühl von Autonomie nicht untergraben. Bei Strafandrohungen, Belohnungen und Bewertungen ist das jedoch nicht gegeben. Das Angebot von Wahlmöglichkeiten sowie ein anerkennendes Feedback hingegen können Studien zufolge als extrinsische Faktoren die Motivation durchaus steigern.

Für die pädagogische Praxis ist die Selbstbestimmungstheorie der Motivation als Orientierungspunkt damit insgesamt von enormer Bedeutung. Soll der Lernerfolg, der wesentlich von der Motivation der Lernenden abhängig ist, nicht verhindert werden, sollten extrinsische Faktoren wie Belohnung und Bestrafung nicht eingesetzt werden. Eine an der Selbstbestimmungstheorie nach Deci und Ryan ausgerichtete pädagogische Praxis ist damit deutlich stärker mit konstruktivistischen als mit behavioristischen Ansätzen vereinbar.

Quellen:
Deci, Edward L. (1971): “Effects of externally mediated rewards on intrinsic motivation”. In: Journal of Personality and Social Psychology. 18. S. 105-115.
Deci, Edward. L; Ryan, Richard M. (1993): „Die Selbstbestimmungstheorie der Motivation und ihre Bedeutung für die Pädagogik“. In: Zeitschrift für Pädagogik. 39. S. 223-228.
Krijgsman, Christa et al. (2017): „Performance grading and motivational functioning and fear in physical education: A self-determination theory perspective”. In: Learning and Individual Differences. Volume 55. S. 202-211.
Pulfrey, Caroline; Damon, Céline; Butera, Fabrizio (2013): “Autonomy and task performance. Explaining the impact of grades on intrinsic motivation”. In: Journal of Educational Psychology. 105(1). S. 39-57.
Visser, Johannes (2023): “Hoe cijfers de motivatie van leerlingen om zeep helpen”. In: De Correspondent. Online verfügbar unter: https://decorrespondent.nl/14112/hoe-cijfers-de-motivatie-van-leerlingen-om-zeep-helpen [14.01.23].